)
Oberstaatsanwaltschaft erteilt Weisung: "Kein strafbares Verhalten."
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Nein, everybody’s darling ist er wirklich nicht. Michael Genner provoziert gerne - und das auch tief unter der Gürtellinie. Unvergessen und von vielen unverziehen etwa sein "Nachruf" auf die in der Silvesternacht 2006/07 plötzlich verstorbene ÖVP-Innenministerin Liese Prokop, in dem er unter anderem von einer "guten Meldung zum Jahresbeginn" gesprochen hatte. Später wurde Genner wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe verurteilt, der Fall liegt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Für den Obmann der Hilfsorganisation "Asyl in Not" verletzte die Geldstrafe nämlich sein Recht auf freie Meinungsäußerung.
"Ich bin ein unbequemer Kritiker und ein Polemiker", sagt Genner über sich selbst. Polemik sei eben eine der Lebensadern der Demokratie, damit könne man viel mehr für die Sache erreichen als mit Konfliktscheu. Aufmerksamkeit erzeugt er jedenfalls mit dieser Taktik, über die man denken kann, was man will. Jedenfalls hat sie zu einem Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wien geführt, der nicht an Skurrilität vermissen lässt.
Aktion und Reaktionzu Schlepper-Vorwürfen
Der Hintergrund: Im Sommer 2013 wurden einige der Asylwerber aus der Votivkirche beziehungsweise dem Servitenkloster wegen Schlepperei verhaftet. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner schilderte daraufhin gegenüber Medien die "äußerst unmenschlichen" Methoden der Schlepper und wie sie zum Beispiel schwangere Frauen einfach hilflos entlang der Route aussetzen würden. Diese Schilderungen wurden später von den zuständigen Staatsanwaltschaften entkräftet, die Verfahren gegen die Asylwerber laufen noch.
Genner hat als Reaktion auf die Vorwürfe Mikl-Leitners auf der Website von "Asyl in Not" einen Artikel mit dem Titel "Schlepper und Lumpen" veröffentlicht. Darin schildert er, warum die meisten Menschen bei der Flucht vor politischer oder religiöser Verfolgung oder auch wirtschaftlicher Not auf einen Schlepper angewiesen sind. Er spricht von denen, die die Not ausnutzen, aber auch von "ehrlichen Schleppern", die "saubere Arbeit" machen. Ein solcher Schlepper sei ein "Dienstleister, der eine sozial nützliche Tätigkeit verrichtet".
Die Staatsanwaltschaft Wien wertete diesen Absatz im Internet als "Gutheißung" einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Handlung - Schlepperei -, "die geeignet ist, das allgemeine Rechtsempfinden zu empören beziehungsweise zur Begehung einer solchen Handlung aufzureizen", wie es in dem Strafantrag gegen Genner heißt. Am Donnerstag hätte der Asyl-in-Not-Obmann vor Gericht zu einer halbstündigen Verhandlung erscheinen müssen - ihm hätten bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe für seinen Artikel gedroht.
Protestschreibenfür die Meinungsfreiheit
Auf Facebook schwappte Genner eine Welle der Solidarität entgegen - mehr als 130 Personen meldeten sich zur "solidarischen Prozessbeobachtung" im Landesgericht an. Die Menschenrechts-Aktivistin und ehemalige ORF-Journalistin Susanne Scholl unterstützte Genner ebenso wie der frühere Grünen-Europapolitiker Johannes Voggenhuber. Letzterer warf der Staatsanwaltschaft auf seiner Facebook-Seite vor, "auf gröbliche Weise das elementare Grundrecht auf Meinungsfreiheit" zu verletzen. Außerdem betonte er mit Verweis auf die DDR-Fluchthelfer, dass humanitäre Fluchthilfe nicht als Schlepperei bezeichnet werden könne.
Mit dem Recht auf Meinungsfreiheit argumentierte auch Genners Anwalt Herbert Pochieser in seinem Einspruch gegen die Anklageschrift. Und diesen Einspruch las die Oberstaatsanwaltschaft (OSta) Wien, die der Posse ein Ende setzte. Am Dienstag erging eine Weisung der OSta an die Staatsanwaltschaft, den Strafantrag zurückzuziehen, bestätigte der erste Oberstaatsanwalt Michael Klackl der "Wiener Zeitung" einen Tweet von "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk. "Nach Prüfung der Aktenlage war in diesem Fall nicht von einer Strafbarkeit auszugehen", sagte Klackl.
Weder Genner noch seine solidarischen Prozessbeobachter werden also am Donnerstag im Landesgericht erscheinen müssen. Der Rechtsstreit um die Meinungsfreiheit ist damit vorerst beendet. Und Genner kann wieder weiter provozieren und seine Tätigkeit als "Hecht im Karpfenteich" fortsetzen.