Ein Rückblick auf die Legistik nach fast zwei Jahren mit weit mehr als 100 Covid-19-Verordnungen.
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Covid-19 und kein Ende? Weder der Pandemie noch der Verordnungen? Die Beantwortung der Frage würde eine Kristallkugel erfordern, aber nach aktueller Einschätzung kann man nur sagen: wohl nein. Nach nun beinahe zwei Jahren Erfahrung mit den diversen, weit über 100 Covid-19-Verordnungen des Sozial- und Gesundheitsministeriums scheint es angebracht, unabhängig von der zur Stunde gerade geltenden Regulierung (derzeit etwa zwei Änderungen pro Woche) einen Rückblick auf die angewandte Legistik zu werfen.
Was fällt positiv auf? Die Verordnungen entstehen unzweifelhaft unter großem Zeit- und politischem Druck. Das ist für das Folgende zu berücksichtigen. Dass jeweils Erläuterungen dazu abgegeben und publiziert werden müssen, ist im Sinne der Nachvollziehbarkeit positiv, wenn auch durch den Verfassungsgerichtshof erzwungen.
Was fällt negativ auf? Von Anbeginn an, das heißt, schon zwei Jahre lang, wird sachlich geäußerte Kritik beharrlich nicht zur Kenntnis genommen. Wobei die Verordnungen zum Teil auf mangelhaften gesetzlichen Grundlagen beruhen. Dazu drei Beispiele:
Fünf Menschen als Menge
§ 15 Epidemiegesetz ("Maßnahmen gegen das Zusammenströmen größerer Menschenmengen") ist in seiner Unbestimmtheit eigentlich inoperabel: Was ist eine "zusammenströmende größere Menschenmenge"? Da mag man, rein visuell, an 100 oder mehr Personen denken. § 5 Abs. 2 Covid-19-Maßnahmengesetz bricht das auf die Minimalzahl von fünf (!) Personen herunter, wobei die Vorgangsweise clever, wenn auch rechtsstaatlich nicht einwandfrei ist. Das Covid-19-Maßnahmengesetz ist ja ein eigenes, nicht auf das Epidemiegesetz aufsetzendes Gesetz, sodass sich danach nicht die Frage stellt, ob fünf Personen eine größere Menschenmenge bilden, die zusammenströmen kann. Die eigentliche Intention des älteren, allgemeiner geltenden Epidemiegesetzes wird durch eine solche Parallelregelung kalt unterlaufen.
In § 8 Abs. 5 Covid-19-Maßnahmengesetz (Strafbestimmungen) wird die Organisation einer Zusammenkunft mit deren Durchführung verwechselt, bestraft werden soll, falls illegal, offensichtlich Zweiteres, die Formulierung ist grundfalsch.
Das private, immerhin grundrechtlich geschützte Hausrecht, kommt in den Verordnungen gesetzlich nicht klar zur Geltung. § 5 Abs. 4 Covid-19-Maßnahmengesetz eiert förmlich herum, indem zum Ausdruck gebracht wird, dass bestimmte Maßnahmen für den privaten Wohnbereich nicht durch Verordnungen angeordnet werden dürfen. Wie geht nun die aktuelle sechste Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung (mittlerweile bereits siebente Novelle BGBl 2022/24) mit dieser Vorgabe um?
Es fehlt eine klare Aussage darüber (in § 21 - Ausnahmen), dass der häusliche Privatbereich aus der Verordnung ausgenommen sei. § 14 (Zusammenkünfte) Abs. 8 legt punktuell fest, dass die Regelungen betreffend Personenlimits, die Kontaktdatennachverfolgung, Anzeige- und Bewilligungspflicht, Maske, Präventionskonzept/Beauftragter nicht für Zusammenkünfte gelten, die im privaten Wohnbereich stattfinden.
Ebenso unscharf gehen die Verordnungen mit dem ebenso verfassungsrechtlich gestützten Grundsatz der Religionsfreiheit um. Der würde es eigentlich gebieten, diesen Bereich ebenfalls komplett aus den Verordnungen auszunehmen. Passiert aber nicht ausdrücklich in § 21 (Ausnahmen).
Immerhin erscheinen religiösen Andachtsstätten jetzt im Gegensatz zu früheren Verordnung nicht mehr als "Kundenbereiche von Betriebsstätten", das lag wohl zu weit daneben. Im § 14 ("Zusammenkünfte") ist von solchen Zusammenkünften religiöser Art nicht die Rede, weder positiv (Regelung) wie negativ (Ausnahme). Erst § 21 Abs. 1 Z 4 erklärt die totale Ausnahme von Zusammenkünften zur Religionsausübung aus der Verordnung, wobei die Frage offen bleibt, was für religiöse Andachtsstätten per se gilt (außerhalb von Zusammenkünften). Da es dafür in der Verordnung keine positivrechtliche Regelung gibt, können wir folgern, dass auch diese nicht deren Geltungsbereich unterliegen. Hier liegt es demnach am Hausrecht der Religionsgemeinschaften, präventive Verhaltensregelungen zu normieren.
Veranstaltungen im Chaos
Weitere gravierende Probleme ergeben sich beim jeweiligen Übergangsrecht, das von gravierender Bedeutung ist, weil die Covid-19-Vorschriften aufgrund der gesetzlichen Vorgaben spätestens alle drei bis vier Wochen zumindest verlängert werden müssen.
§ 5 Abs. 7 Covid-19-Maßnahmengesetz räumt dem Verordnungsgeber die Möglichkeit ein, in einer Übergangsbestimmung zu regeln, dass im Falle der inhaltlichen Änderung aufeinanderfolgender Verordnungen bereits erteilte (bestehende) Bewilligungen unter Einhaltung der Anordnungen dieser Nachfolge-Verordnung, die im Zeitpunkt der Erteilung der Bewilligung noch nicht gegolten haben und hinreichend bestimmt sind, ausgeübt werden dürfen. In einem solchen Fall gelten die Bewilligungen für die Dauer der Geltung der neuen Rechtslage als entsprechend der (neuen) Verordnung geändert.
Dieser Vorgang könnte natürlich für Dauer-Bewilligungen über mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Verordnungsebenen kaskadenartig fortgesetzt werden. In der Praxis würde das bedeuten: Wird eine Veranstaltung nach einer Vorgängerverordnung bewilligt und die Nachfolgeverordnung sieht restriktivere Bestimmungen vor, so könnte der Bewilligungsinhaber seinen Event unter diesen restriktiveren Bedingungen durchführen. Nur wenn die neue Verordnung eine solche Veranstaltung überhaupt verunmöglicht, zum Beispiel durch einen neuerlichen Lockdown, wäre es mit der Veranstaltung vorbei. Sollte die Nachfolgeverordnung hingegen eine günstigere Rechtslage vorsehen, müsste der Bewilligungswerber eine neuerliche Einreichung tätigen, die ausdrücklich nicht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden darf.
Die Covid-19-Verordnungen machen davon allerdings durchwegs keinen Gebrauch, was zu einer erheblichen, vermeidbaren Rechtsunsicherheit bei den Veranstaltern führt, weil viele Gesundheitsbehörden unter Hinweis auf die zeitliche Beschränktheit der jeweiligen Verordnung eine Erledigung für Zeiträume nach deren Außerkrafttreten einfach verweigern.
Bemerkenswert in der aktuellen sechsten Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung in der Form BGBl II 2022/24 ist - wobei wir hier Kritik ausklammern, die bereits mehrfach im Rahmen dieser Artikel (großteils ohne Effekt) geäußert wurde:
In § 2 Abs. 6 wird festgelegt, dass das Präventionskonzept dem Stand der Wissenschaft entsprechen muss - da fehlt aber das Erfordernis einer vorangehenden Risikoanalyse. Warum dies seit einigen Novellen aus der Formulierung gestrichen wurde, ist unergründlich und keinesfalls sachgerecht.
§ 2 Abs. 8 sieht obligatorisch durchgehend, so auch bei Zusammenkünften, den Zwei-Meter-Mindestabstand zwischen Haushaltsfremden vor, was aber nicht kommuniziert wurde und daher weder in den Medien noch bei der Bevölkerung ankam. Dabei wäre das eine der wohl wichtigsten Kautelen gegen Ansteckungen. Erst die Novelle BGBl 2022/6 hat eingehakt und die Unterschreitung des Mindestabstands mit einer generellen Maskenpflicht, auch in Außenbereichen, verknüpft.
Warum es im § 5 Abs. 3 (Seilbahnen, Lifte) nicht aus Vorsichtsgründen bei der Limitierung auf die Hälfte der Beförderungskapazität geblieben ist, müssen die (überaus tüchtigen) Lobbyisten der Seilbahnwirtschaft beantworten. Übrigens: Prozentuale Kapazitätsbeschränkungen sind absoluten Personenhöchstzahlen vorzuziehen, sie täten auch im § 14 (Zusammenkünfte) gut - dabei gab es sie bereits.
Nach § 14 Abs. 2 Z 6 benötigt der Gastronom, der zu einer Zusammenkunft catert, kein eigenes Präventionskonzept und keinen Covid-19-Beauftragten mehr, das ist nunmehr alles Sache des Veranstalters, auch für den gastronomischen Teil.
Infolge anhaltender Probleme mit der Verfügbarkeit von PCR-Tests feierte in der letzten Novelle der in ein behördliches System hochgeladene Antigentest zur Eigenanwendung eine Wiederauferstehung, wiewohl seine Ergebnisse relativ unsicher sind.
Bund und Länder unkoordiniert
Eine ärgerliche Posse spielt um den § 6 Abs. 2 Z 4 der Verordnung: In diesem Absatz sind die sensiblen Bereiche (vom Ministerium fälschlich "Geschäfte des täglichen Bedarfs" tituliert) aufgezählt, die auch von Ungeimpften betreten werden dürfen. Z 4 nannte von Anbeginn der Lockdowns als einen Fall die "Sanitärartikel", was durchaus Sinn machte, sind hier doch zum Beispiel Badezimmereinrichtungen oder eine Toilette betroffen, also durchaus lebenswichtige Güter (analog den ebenfalls in diesem § angeführten Drogeriemärkten). Es bestand also im Grunde gar kein Anlass, das zu hinterfragen, bis der Hype um die "Sanitätsartikel" begann, die hier angeblich von Anbeginn gemeint gewesen seien. Das sind alle Artikel, die zur Versorgung Kranker benötigt werden. Z 4 selbst nannte jedoch immer zusätzlich Medizinprodukte, Heilbehelfe und Hilfsmittel, womit dieser Bereich einwandfrei erfasst war. Das Ministerium aber, sonst gegenüber berechtigter Kritik an seiner Verordnung durchaus beratungsresistent, änderte in der letzten Verordnung flugs den Begriff in der auf Twitter gewünschten Weise. Erstaunlich, denn jetzt kann sich der Ungeimpfte keine neue WC-Schüssel mehr im Geschäft anschauen. Wenn schon, hätte man also den neuen Begriff ergänzen, aber nicht den alten ersetzen müssen.
Ob der zuletzt eingeschlagene Weg - Bundesverordnung als "Grundlage", Länder sollen in Begleitverordnungen verschärfen beziehungsweise sonderregeln - ein sinnvoller ist, sei dahingestellt. Aus diesem System ergeben sich zwangsläufig ununterbrochene Verordnungsänderungen in großer Zahl. Ob da Unternehmer und Konsumenten folgen (können/wollen), darf bezweifelt werden, was rechtsstaatlich keine gute Entwicklung ist. Bund und Länder täten gut daran, sich (wieder besser und einheitlicher) abzustimmen.