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Postenkarussel in der EZB dreht sich

Von Rene Wagner

Europaarchiv

Mindestens drei der 18 Mitglieder gehen 2006. | Laut Experten ist kein Politikwechsel zu erwarten. | Frankfurt. (dpa) 2006 wird das Jahr des Stühlerückens im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB). Aus dem höchsten EZB-Entscheidungsgremium verabschieden sich mindestens drei der 18 Mitglieder. An der Geldpolitik der Währungshüter, die für 311 Millionen Europäer gilt, wird sich laut Experten mit den neuen Gesichtern aber kaum etwas ändern.


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Bei der ersten Ratssitzung des neuen Jahres heute, Donnerstag, fehlt mit Antonio Fazio ein Mann, der dem exklusiven Klub der zwölf nationalen Notenbankpräsidenten der Euroländer und der sechs EZB-Direktoriumsmitglieder von Beginn an angehörte. Fazio trat im Dezember nach Affären als Präsident der Banca d'Italia zurück.

Seinen Platz besetzt ab Februar der ehemalige Goldman-Sachs-Manager Mario Draghi. Er nimmt am 17. Jänner die Geschäfte als italienischer Notenbankchef auf. "Draghi ist sicher etwas pragmatischer als sein Vorgänger und dürfte eher die angelsächsische Sicht vertreten - also dem Wirtschaftswachstum im Zweifel eine höhere Priorität einräumen als dem Kampf gegen Inflation", sagt der Europa-Chefvolkswirt der Bank of America, Holger Schmieding.

Im Mai scheidet mit Otmar Issing nach achtjähriger Amtszeit die graue Eminenz der EZB aus. Das dienstälteste Direktoriumsmitglied ist als EZB-Chefvolkswirt eine der prägendsten Gestalten der Frankfurter Institution seit ihrer Gründung 1998.

Stark folgt auf Issing

Er wird durch den bewährten Bundesbanker Jürgen Stark ersetzt, sofern die EU-Staats- und Regierungschefs dem Vorschlag der Regierung folgen. Beide gelten als "Falken", die für eine eher restriktive Geldpolitik eintreten und der Preisstabilität oberste Priorität einräumen.

Neue Ressortaufteilung

Mehr Bedeutung wird deshalb einer Neuaufteilung des Bereichs Volkswirtschaft und Forschung beigemessen, den Issing seit fast acht Jahren leitet und in dieser Funktion bei den Ratssitzungen eine Zinsempfehlung abgibt.

Das Ressort soll zwischen mehreren Direktoriumsmitgliedern aufgeteilt werden, wobei Stark seinen Fokus auf Finanzmarktthemen und internationale Beziehungen legen soll. "Möglicherweise schmälert das den großen Einfluss der Bundesbankschule auf die Geldpolitik ein wenig", sagt Schmieding. Auch deshalb ist Issings Ausscheiden die wichtigste EZB-Personalie der kommenden Jahre. Der nächste Wechsel im Direktorium steht erst 2010 an.

Im Juli endet die Amtszeit von Jaime Caruana an der Spitze der Banco d'Espana. Ein Nachfolger steht noch nicht fest. Ungewiss ist der Verbleib von Victor Constancio als Chef der Banco de Portugal. Seine Amtszeit läuft im März aus, kann aber von der Regierung verlängert werden. "Beide gelten eher als Tauben, die sehr auf die Konjunktur bedacht sind und lange der Zinserhöhung im Dezember widersprochen haben", sagt EZB-Beobachter Michael Schubert von der Commerzbank.

Kein Politikwechsel

Obwohl sich das Personalkarussell heuer schnell dreht, verbinden Experten damit keinen Politikwechsel. Die EZB gilt als stark institutionalisiert und damit weniger von Personen abhängig als die US-Notenbank mit ihrem charismatischen Chef Alan Greenspan. Dafür sprechen das klar definierte Inflationsziel von knapp zwei Prozent sowie die Ausrichtung der Geldpolitik an den beiden Säulen Konjunkturentwicklung und Geldmengenexpansion. "Die EZB hat sich selbst ein enges Korsett angelegt, in dem sie agiert", so der Deutschland-Volkswirt der Citigroup, Jürgen Michels. "Die Strategie der EZB steht."