Die Neuvergabe von Ämtern beschränkt sich nicht auf das EU-Parlament - auch andere Spitzenposten sind zu besetzen.
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Brüssel. Kaum waren die letzten Wahllokale geschlossen, ging das Werben um Stimmen erneut los. Doch nicht mehr unter den Unionsbürgern, sondern im EU-Parlament selbst. Denn stimmenstärkste Partei zu sein, ist erst ein Teil des Erfolgs. Es gilt nun, eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus zu finden. Die ist nämlich notwendig, um Unterstützung für den Spitzenkandidaten zu erhalten, der sich auch um den Posten des Präsidenten der EU-Kommission bewirbt, über den wiederum die Mandatare abzustimmen haben. Diese Verknüpfung war eine Neuerung bei den EU-Wahlen; das Votum der Menschen sollte gleich doppelt zählen. Das hat "eine gewisse Dynamik" in das Prozedere rund um die Postenbesetzung in der Brüsseler Behörde gebracht, räumte denn auch ein EU-Diplomat ein. Die Staats- und Regierungschefs der Union werden sich über das Ergebnis des Urnengangs nicht einfach hinwegsetzen können - auch wenn sie es bisher gewohnt waren, sich untereinander auszumachen, wer das Amt des Kommissionspräsidenten besetzen soll.
Wie sehr sich die Länder allerdings vom Resultat beeinflussen lassen, ist freilich noch immer offen. Laut EU-Verträgen müssen sie den Wahlausgang zwar berücksichtigen, einen Automatismus bedeutet das aber nicht. Das hat nicht nur die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betont. Auch der britische Premier David Cameron soll bereits auf der Suche nach Verbündeten unter seinen Amtskollegen sein, um die Kandidaten des Parlaments auf dem Weg an die Spitze der Kommission aufzuhalten. Denn aus britischer Sicht ist dort keiner der Bewerber der größten Parteien, weder der Luxemburger Christdemokrat Jean-Claude Juncker noch der deutsche Sozialdemokrat Martin Schulz, wünschenswert: Beide setzen sich für eine größere Integration der EU ein.
Erste Debatten werden die Staats- und Regierungschefs bereits am morgigen Dienstag führen können, wenn sie einander zu einem informellen Abendessen in Brüssel treffen. Zwar stehen offiziell - neben einer Analyse der Wahl in der Ukraine - bloß Beratungen über "politische Prioritäten" für die kommenden Jahre auf der Tagesordnung. Doch wird es sehr wohl auch um die Postenbesetzungen in den EU-Institutionen gehen, selbst wenn Diplomaten versichern, dass noch keine Namen dafür fallen sollen. Die Diskussion wird nicht gerade erleichtern, dass in den kommenden Monaten auch noch weitere EU-Spitzenposten zu besetzen sind. Für die Außenbeauftragte der Union, Catherine Ashton, muss ebenso eine Nachfolge gefunden werden wie für den Ratspräsidenten Herman Van Rompuy. All das wird noch für ein zähes Ringen zwischen kleineren und größeren Staaten, den konservativen und den sozialdemokratischen Gruppierungen und den diversen Interessengruppen innerhalb der EU sorgen. Es gibt sowohl Bestrebungen, so viele Seiten wie möglich zufriedenzustellen als auch Forderungen, mindestens eine Frau mit einem Spitzenamt zu betrauen. Hinzu kommt schon bald ebenfalls das Tauziehen um die Zusammensetzung und die Aufgabenverteilung der Kommission, in die die Länder ihre Vertreter schicken. Schon wird darüber spekuliert, manche Bereiche zu bündeln - was zu einer schlagfertigeren Politik führen, aber gleichzeitig einige Kommissare mächtiger als andere machen würde. Ergebnisse dieser Debatte könnten sich dann bei einer weiteren Gipfel-Zusammenkunft in einem Monat zeigen.
Ringen um Macht
Wie stark sich das EU-Parlament innerhalb der Institutionen positionieren kann, wird sich dann kurze Zeit später weisen. Juncker und Schulz warnten die Länder wiederholt davor, einen anderen Kandidaten für den Job des Kommissionspräsidenten vorzuschlagen als einen von denen, die gerade zur Wahl gestanden waren. Solch einen würden die Sozialdemokraten jedenfalls ablehnen, betonte ihr scheidender Fraktionsvorsitzender Hannes Swoboda. Die größten Parteien haben vereinbart, gegenseitig ihre Bewerber zu unterstützen. Umgekehrt kann die Volksvertretung anderslautenden Wünschen der Länder Einhalt gebieten: indem sie gegen deren Kandidaten stimmt.