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Postenschacher als taktisches Bauernopfer

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Der Postenschacher um den neuen Nato-Generalsekretär Rasmussen war also der Türkei ein taktisches Bauernopfer wert, das am staatlichen System nicht rüttelt: Für ein paar Jobs in der Nato-Kommandostruktur gab die Türkei ihren Widerstand gegen den dänischen Ministerpräsidenten auf, obschon er weder die Mohammed-Karikaturen verboten hat, noch dem kurdischen Sender "Roj TV" den Strom abschaltet.


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Die von Hausverstand und Respekt ungetrübte Provokation gläubiger Muslime und kultivierter Europäer durch die Mohammed-Karikaturen mochte Ekel erregen. Doch wir würgten ihn eines übergeordneten Prinzips wegen hinunter: Meinungs- und Pressefreiheit, so lange sie nicht die Normen eines Rechtsstaats bricht. Das gleiche unveräußerliche Grundrecht gilt im Rechtsstaat Dänemark - und natürlich ebenso in der EU - auch für den Sender "Roj TV", der im Exil praktiziert, was die Türkei ihm und den Kurden vorenthält - das Grundrecht auf Meinungsfreiheit.

In diesem Fall versucht es die Türkei mit dem uralten Trick, den Überbringer einer schlimmen Nachricht zu prügeln. Die vertuschte schlimme Nachricht: Seit dem Ende des Ersten Weltkriegs schikaniert die Türkei die zwölf Millionen Kurden in Ostanatolien und wundert sich in erbärmlicher Scheinheiligkeit, dass die Unterdrückten sich schließlich sogar mit Terror wehrten. Und damit niemand auf die brisante Idee verfalle, den in der Schule gelernten Unterschied zwischen Ursache und Wirkung auf dieses Thema anzuwenden, sichert der amtliche Schutz des Türkentums die staatlich manipulierte Geschichtsschreibung. Das Verbot der kurdischen PKK bemäntelt also nur die beharrliche Weigerung der Türkei, einer Minderheit die Menschenrechte uneingeschränkt zu gewähren.

Der türkische Postenschacher mit der Nato ersparte einem militärischen Verteidigungsbündnis eine Panne. Dieser Vorgang berührt allerdings auch die Rechtsgrundsätze der EU, die irgendwann die Türkei aufnehmen will, wenn auch diese Frage befriedigend beantwortet ist: Wie hält es die Türkei mit dem Islam, und welchen Islam pflegt sie? Gewiss nicht den der fundamentalistischen Taliban, die ein Mädchen wegen angeblicher Unmoral öffentlich auspeitschen lassen und Frauen ehelicher Vergewaltigung preisgeben. Auch gilt das nicht für den toleranten Islam in Marokko, wo Katholiken in der Kathedrale von Casablanca unbehindert Gottesdienste feiern.

Hingegen gibt es die katholische Kirche in der Türkei rechtlich gar nicht. Sie darf in einer Art von rechtsfreiem Reservat dahinkümmern und riskiert ihre Existenz, sollte sie der staatlichen Religionsbehörde "unangenehm auffallen". Von Rechtssicherheit und Glaubensfreiheit also keine Spur.

Offensichtlich ist somit die Türkei für den EU-Beitritt nicht reif, obschon Barack Obama dafür plädiert und der islamischen Welt ein Friedensangebot unterbreitet. Diesem steht erst der Test im orientalischen Polit-Bazar bevor. Und die Handelsware heißt Israel.