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Postfaktisch = Selbstbetrug

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Las Vegas als Austragungsort der letzten TV-Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump ist alleine schon witzig. Im Spielerparadies steht ein unübersehbarer Trump-Tower, in dem es allerdings kein Casino gibt. Der Unternehmer Trump erhielt ausgerechnet in Nevada keine Glücksspiel-Lizenz. Besser könnte die Reputation des republikanischen Präsidentschaftskandidaten nicht beschrieben werden.

Einen Tag später trifft die britische Premierministerin Theresa May erstmals bei einem EU-Gipfel auf ihre 27 (Noch-)Kollegen, um den Brexit zu besprechen. Zu Hause hatte Frau May gerade Probleme, weil es wegen des Brexit-bedingten Pfund-Absturzes zu einer Verknappung des auf der Insel überaus beliebten Brotaufstrichs "Marmite" kam. Alleine dass sich das Hefe-Gewürz-Konzentrat am Festland als kulinarischer Exote nie durchsetzte, beschreibt den Gemütszustand der Briten ganz gut.

Im postfaktischen Zeitalter werden "Marmite" und ein Hotel ohne Kasino in Las Vegas zu Symbolen. Wer den Fakten die Ehre geben würde (also früher in der guten, alten Zeit), würde feststellen, dass Donald Trump auch als Unternehmer nicht halb so tüchtig ist, wie er von sich selbst behauptet. Und hätte demnach bei der Auswahl, wer denn republikanischer Präsidentschaftskandidat werde, die Reißleine gezogen.

Das Brexit-Referendum, das mit zwei großen Lügen reüssierte, zieht Großbritannien in politische und wirtschaftliche Probleme, die in Österreich als Kollaps, nahe am Weltuntergang, empfunden worden wären. (Die beiden Lügen lauteten: Der Brexit wird ein ökonomischer Erfolg und die EU-Zahlungen würden danach ins - marode - Gesundheitswesen fließen.)

Aber wir lassen uns von Fakten gottlob nicht mehr irritieren. Trump erklärt seine (wahrscheinliche) Niederlage mit Wahlbetrug, selbst wenn die Wahl noch gar nicht stattgefunden hat. Vielleicht will er sie ja anfechten, da könnten dann manche aus Österreich Erfahrungen einbringen.

Und Theresa May wird unverdrossen fordern, am EU-Binnenmarkt teilnehmen zu dürfen, auch wenn sie weiß, dass die kommenden Brexit-Gesetze in Großbritannien genau dies unmöglich machen. Das Schöne am postfaktischen Zeitalter ist, dass an der Realität immer andere schuld sind. Früher wurde das Selbstbetrug genannt, aber das klingt irgendwie präfaktisch...