Die Medien verhelfen dem Terror erst zu seiner Dimension.
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Sicher, eine Berichterstattung über Ereignisse wie den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin soll und muss erfolgen, doch die Art und Weise der Berichterstattung, der Modus der Narration ist hierbei entscheidend. Erfolgt er in postfaktischer Form, schürt also der Bericht die Ängste und Vorbehalte der Bevölkerung insbesondere dadurch, dass während der Berichterstattung kaum verlässliche, valide Daten vermittelt werden, so arbeitet eine derartige Berichterstattung - gewollt oder ungewollt - den Terroristen in die Hände. Schließlich ist es der kollektive Schrecken - der konkrete Anschlag ist lediglich das Vehikel des Schreckens -, den die Täter mit ihrer Tat herbeirufen wollen. Dass hierbei Kameras in Echtzeit auf die am Boden liegenden Opfer des Anschlags gerichtet werden, dass Nahaufnahmen von Anschlagsopfern über die Bildschirme flimmern, deutet auf eine - bewusste oder unbewusste - strukturelle Zusammenarbeit von Terroristen und Journalisten hin. Die Sensationsgier, die Gier nach schillernden, alles übertrumpfenden Schlagzeilen, die Schaulust, die Lust an der Schau des Leids des Anderen, mit anderen Worten der kollektive Sadismus spielt eine wesentliche Rolle bei der Art und Weise der postfaktischen Berichterstattung.
Der 1994 in Zürich verstorbene Literaturnobelpreisträger Elias Canetti spricht denn auch in seinem Hauptwerk Masse und Macht dezidiert vom Menschen, der "den Tod der anderen" erwarte. Tritt dieser ein, "so löst sich der anfängliche Schrecken über den Anblick des Todes (. . .) in Befriedigung auf, denn man ist nicht selbst der Tote."
Zieht man diese Beobachtung hinzu, so haben wir es mit einer Trias zu tun: Erstens ist da der Terrorist, dessen Ziel es ist, größtmöglichen Schrecken innerhalb der Bevölkerung hervorzurufen; zweitens die Medien, deren pragmatische Haltung es ist, durch eine postfaktische Vermittlung und letztlich Verbreitung des Anschlags größtmögliche Einschaltquoten zu erzielen; drittens der Zuschauer, der - nach der pessimistischer Lesart Canettis -, eine unbewusste Genugtuung, ja eine regelrechte Lust dabei empfindet, nicht selbst unter den Opfern des Anschlags gewesen zu sein.
Die Botschaft des Schreckens
Das Medium ist - um Marshall McLuhan zu zitieren - hier nicht nur die Botschaft, vielmehr ist es in Zeiten des internationalen Terrorismus die Botschaft des Schreckens. Eine kluge und sensible Berichterstattung würde gewiss anders mit schrecklichen Ereignissen wie jenem in Berlin umgehen. Eine kluge und sensible Berichterstattung würde versuchen, die Bevölkerung argumentativ, also mit rationalen Mitteln, über das Phänomen Terror aufzuklären, ohne hierbei ihre Anteilnahme außer Acht zu lassen.
Tatsächlich werden die Ursachen des Terrors aber, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt, vielmehr stürzen sich die Medien - sicherlich auch wegen der zu erwartenden hohen Einschaltquoten - auf die Wirkung des Terrors und bewirken damit - gewollt oder ungewollt - erst recht, dass der Schrecken jene Dimension erreicht, die er mit einer klugen und sensiblen Berichterstattung sicherlich nicht erreichen würde.