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Postheroische Helden

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

"Unglücklich das Land, das keine Helden hat!", lässt Bertolt Brecht in seinem Stück "Das Leben des Galileo Galilei" einen Studenten - schwer enttäuscht vom Widerruf Galileis - klagen. Worauf der von Brecht als Anti-Held gezeichnete Astronom kontert: "Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat."


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Unglücklicherweise braucht Japan nun dringend mehr als nur eine Handvoll Helden. Und glücklicherweise haben sich todesmutige Menschen gefunden, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens bereit sind, im und um den hoch radioaktiv verstrahlten Reaktor Fukushima gegen die immer weitere Eskalation der Katastrophe anzukämpfen. Viel spricht dafür, dass diesen Einsatzkräften bleibende gesundheitliche Folgen drohen.

Das ist der Stoff, aus dem die Traumfabriken aller Welt ihre Geschichten beziehen: Der archetypische Topos vom Einzelnen, der sich zum Wohle der Gemeinschaft selbst opfert, ist tief in unserem von Mythen durchwebten Unterbewusstsein verankert. Hollywood-Filme voller Helden, die ohne Unterlass die Welt retten, sind das eine, die tatsächliche Gesellschaft, in der wir leben, ist das andere. Letztere hat sich jedoch selbst zu einer durch und durch postheroischen erklärt, für klassische Helden hat sie keinen Bedarf mehr. Der anonymisierte Wohlfahrtsstaat ist dafür gedacht, in jeder nur denkbaren Lebenslage für die ersehnte Rettung zu sorgen.

Was aber, wenn unsere demokratische Gesellschaft doch einmal Helden braucht? Autoritäre Regime aller Zeiten haben ihre Bürger kurzerhand zum Opfergang zwangsrekrutiert und ihnen allenfalls hinterher den Heldenstatus verliehen. Für eine liberale Demokratie ist Zwang in dieser Frage allerdings undenkbar, steht hier doch die Freiheit des Einzelnen im Zentrum. Also müssen sich die Helden schon freiwillig zum Rettungsdienst melden, denn dazu verpflichten kann sie der liberale Staat nach eigenem Selbstverständnis nicht.

Friedrich Nietzsche, der vor allem Verachtung für jeden moralischen Impetus übrig hatte, schrieb in einem Brief: "Was den Helden betrifft: so denke ich nicht so gut von ihm wie Sie. Immerhin: Er ist die annehmbarste Form des menschlichen Daseins, namentlich, wenn man keine andere Wahl hat."