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Postings loten die Tiefe der Volksseele aus

Von Franz Witzeling

Gastkommentare
Franz Witzeling ist Psychologe und Soziologe in Klagenfurt. Er war Gründer und Leiter des dortigen Humaninstituts.

Demoskopie in Zeiten der Social Media. Vom Fragebogen zur Facebook- und Twitter-Inhaltsanalyse.


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Nicht erst seit den jüngsten Irrtümern der Demoskopen sind Skepsis und Misstrauen in breiten Bevölkerungsschichten gestiegen, was die Veröffentlichung von Umfragen betrifft. Die Gründe sind vielfältig. Einerseits ist es die banale Tatsache, dass es immer weniger Festanschlüsse gibt und die wechselnden Handynummern oft nicht mehr in Telefonbücher eingetragen werden. Andererseits sind neben der Schwierigkeit, zu wichtigen demografischen Daten zu kommen, die Antwortfreudigkeit und Ehrlichkeit bei den Befragten nicht unbedingt im Steigen begriffen. Man wertet auch das geheime Wahlverfahren als Privatsache.

Die Social Media haben eine neue Zeit der Demoskopie eingeläutet. Auf Facebook, Twitter und Co. lassen sich die Menschen in der Anonymität, aber auch mit Klarnamen weit tiefer in die Seele blicken, als dies mit einem strukturierten Frageninventar je möglich war und ist. Durch angewandte Sozialforschung in Form von Inhaltsanalysen eröffnen sich für kreative und vernetzt denkende Demoskopen Einblicke in den Meinungsbildungsprozess.

Bisher werden in eher statisch vorbereiteten Kategorien Antworten angekreuzt, abgelegt, auf Datenträger übertragen und mit klassischen statistischen Verfahren ausgewertet. Die Ergebnisse werden dann von verschiedenen Medien übernommen und sind auch die Grundlage für "Eigenbau-Analysen" (meist in Politikerkreisen) oder laienhafte Deutungsversuche, die - mit eigenen Wunschvorstellungen gemischt - für valide Wirklichkeit gehalten werden.

Die Nachfrage nach Allerweltsumfragen für diverse bunte Blätter geht kontinuierlich zurück. Auch das hat nachvollziehbare Gründe: Die neue Kommunikationskultur der sozialen Medien bringt die User selbst immer mehr in die Rolle der Meinungsbildner, die eine Analyse durch selbsternannte Experten gar nicht brauchen.

Auf dem Weg des Ausbaus der direkten Demokratie wird man sich noch einiges einfallen lassen müssen, um in der Umsetzungspraxis auch die geweckten Erwartungen erfüllt zu bekommen, die man geprägt hat.

Postings in den sozialen Medien loten das Votum der Wähler, wenn man diese sozialwissenschaftlich analysiert, mehr aus als gestellte Situationen, wenn man die Standardfrage stellt: "Welche Partei oder Person würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären?" Repräsentative direkte Demokratie und viele Varianten, die sicher auf uns in der Zukunft zukommen werden, stehen nicht in den Sternen, sondern sind mit Fantasie und Ethik in der Realität Schritt für Schritt zu erproben.

Da Politik immer - oder noch immer - mit Macht gekoppelt ist, wird man sich der Versuchung nicht ganz entziehen können, Manipulationen zu versuchen oder das Ganze für Werbezwecke zu nutzen.

Der mündige Bürger wird immer mehr gefordert sein, sich in Selbstreflexion zu üben, und da reicht die politische Bildung in der jetzigen Form nicht aus. Es braucht Zivilcourage, ein neues demokratisches Bewusstsein und vor allem Sachkenntnis zu jenen Themen, über die man abstimmen soll. Teure Hochglanz-Werbebroschüren alleine genügen da nicht.