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Posttraumatische Heldendichtung

Von Matthias Greuling und Alexandra Zawia

9/11
Die ikonische Ruine als Filmschauplatz: Dreharbeiten zu Oliver Stones "World Trade Center" (2006).
© © 90061 / United Archives / pictur

Wie US-Filme seit 9/11 mit Terrorismus umgehen. | Nationalstolz und Propaganda sind bewährte Zutaten. | Aliens sind die neuen Terroristen.


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Ein Land am Boden, eine Nation in Trümmern. Nichts brauchten die USA nach dem 11. September 2001 so dringend wie starke Helden. In seltener Eintracht trugen die Medien des Landes die Anti-Terror-Politik George W. Bushs mit, großteils unreflektiert und von dem Gedanken beseelt, der vom Präsidenten wie ein Tagesbefehl im Krieg ausgegeben wurde: "United We Stand".

Dass das Hollywood-Kino bei der Heldensuche eifrig mittat, überrascht kaum. Schließlich fungierte der Massenmagnet Kino schon immer als übergroße, zuverlässige Propagandamaschine. Nicht umsonst sind Kriegsfilme wie "Black Hawk Down" teilweise mit Unterstützung des US-Militärs entstanden, weil sie voller Heldenpathos die Botschaft transportieren, dass es schon richtig ist, wenn die USA sich überall als Weltpolizei einmischen.

Aber der Faustschlag von 9/11 war zu hart, um darauf unmittelbar mit einer profanen Propaganda zu reagieren. Seit dem vernichtenden Terroranschlag hat man im US-Mainstream daher unzählige Heldengeschichten verfilmt, in denen es zwar offensichtlich um die Bekämpfung des Bösen ging, aber zumeist nicht auf die Ereignisse von 9/11 direkt eingegangen wurde. Im Independent-Kino versuchte man, etwas subtiler, ausgewogen beide Seiten zu zeigen. Mit dem Irak-Drama "Green Zone" etwa entlarvte Regisseur Paul Greengrass die Mär der "Massenvernichtungswaffen": Ein Soldat (Matt Damon) weigert sich, seine Truppe in sinnlose Einsätze zu schicken. Zwischen den Fronten scheinen beide Seiten verständlich, am Ende verkörpert dennoch die westliche Welt die besseren Werte.

Superhelden und die amerikanische Urschuld

George Clooney spielte in "Syriana" 2005 einen CIA-Agenten, der die eigenen Reihen unterwandert, und in "Rendition" wird Jake Gyllenhaal als Amerikaner im arabischen Ausland von CIA-Agenten gar für einen Terroristen gehalten und auf offener Straße verhaftet, später gefoltert. Ein Beispiel für die wenigen US-amerikanischen Filme, die sich trauten, der sogenannten "Achse des Bösen" menschliche Gesichter zu geben und damit die nationale Medienmaschinerie, die speziell in jener Phase oft genug als Sprachrohr des Weißen Hauses fungierte, in Frage stellten.

Andererseits verzeichneten die letzten Jahre einen regelrechten Boom an Comicverfilmungen, was durchaus mit dem Wunsch nach Sicherheit zu erklären ist. Eine Supermacht braucht Superhelden. Eine Nation in Angst will sich von Helden wie "Spiderman", "Batman" und "Superman" beschützt fühlen. In den letzten zehn Jahren verging kein Kinosommer ohne zumindest ein, zwei Comic-Helden, die dem Bösen ins Gesicht schlugen. Es ist wie eine in immer größeren Dosen verabreichte Medizin, die ein Land wie die USA zu brauchen scheint; eine Nation, die im kollektiven Unbewussten eine "Urschuld" mit sich trägt, sich das Land ursprünglich unrechtmäßig angeeignet zu haben, und sich seitdem dafür verteidigen muss - oder sich zumindest deswegen schneller angegriffen fühlt als andere Nationen.

Nicht gleich nach 9/11 wagte man sich daran, das Terrorthema direkt aufzugreifen. Fünf Jahre vergingen, ehe die ersten Spielfilme darüber erschienen. Zuallererst polemisierte Dokumentarfilmer Michael Moore 2004 in seinem Rundumschlag "Fahrenheit 9/11": Er sezierte die Hintergründe und Verbindung zwischen Bush und Osama bin Laden, mixte daraus eine wilde, vor Spekulationen triefende Achterbahnfahrt der Emotionen. Als Dokumentarfilm kann "Fahrenheit 9/11" nicht durchgehen, weil zu vieles daran zu wenig faktische Grundlagen besaß. Dennoch gilt der Film mit über 200 Millionen Dollar Einspielergebnis als erfolgreichste Doku aller Zeiten - und zeigte, wie sehr die US-Öffentlichkeit nach Erklärungen gierte, was die tragischen Ereignisse und alle damit einhergehenden Ungereimtheiten betraf.

Erst nach Michael Moore, diesem unbequemen Bürgerrechtler, sprang Hollywood auf den 9/11-Zug auf und brachte Projekte auf den Weg. Man wusste: Selbst mit dieser nationalen Tragödie lässt sich gutes Geld verdienen, die Scheu, das Thema anzupacken, war wie weggeblasen. Der britische Regisseur Paul Greengrass zeichnete 2006 in "Flug 93" in sehr dokumentarischer Manier die letzten Stunden des Fluges 93 nach, indem er die Entführung bis zum Absturz an Bord rekonstruierte. Ein Low-Budget-Projekt, das bis heute aber als authentischste 9/11-Verfilmung gilt. Auch, weil Greengrass mit einiger Distanz jegliche Propaganda vermieden hat; das war kein Film für Amerika, sondern einer über Amerika.

Dagegen tappte Oliver Stone in die Propaganda-Falle, als er 2006 mit "World Trade Center" von den Polizei- und Feuerwehr-Helden schwärmte, die in den Stunden nach dem Anschlag zu retten versuchten, was zu retten war - und zahlreich bei dem Einsatz umkamen. Der früher so kritische Filmemacher Stone feierte völlig unreflektiert den Glauben an Heldentum und Nationalstolz ab; es wirkte wie ein Blankoscheck für die Bush-Regierung, um weitere Einsätze in Afghanistan und dem Irak zu rechtfertigen. Seht doch her, was man uns angetan hat, das war die Botschaft von "World Trade Center".

Der Wandel des Kults

um die US-Flagge

Im Nachhall der Anschläge war der Krieg gegen den Terror häufiges Thema in Spielfilmen. Denn schließlich galt es, das Leid der US-Soldaten aufzuarbeiten. Dies geschah oft in durchwegs anspruchsvollen Independent-Produktionen. "Im Tal von Elah" (2007) erzählte etwa vom Leid eines Vaters, dessen Sohn im Irak umgekommen ist. Am Ende hisst er die US-Flagge verkehrt herum, ein Symbol für den Niedergang einer Nation.

In "The Messenger" (2009) zeigte Oren Moverman Soldaten, deren Aufgabe es ist, die Todesnachrichten gefallener Kameraden an ihre Hinterbliebenen zu überbringen. In "Reign Over Me" trauerte Adam Sandler um seine Familie, die am 11. September in New York umkam.

Unbequemere Filme über die Arbeit von US-Soldaten kamen dafür niemals wirklich an ein Publikum. Viele Filme waren den US-Verleihern zu "heiß", gerade in einer Zeit, in der man doch vereint zusammenstehen sollte, erschien es unpassend, Kritik am eigenen System zu üben. Brian DePalmas Fake-Doku "Redacted" über die verbrecherische Wilderei mancher US-Soldaten bei Irak-Einsätzen schaffte es niemals in die US-Kinos.

Auch Kathryn Bigelows "The Hurt Locker" war kritisch im Umgang mit der US-Kriegspolitik, aber die Geschichte eines Entminungs-Trupps im Irak war letztlich trotzdem eine konventionelle Helden-Story von mutigen Männern, die für ihr Land ihr Leben riskieren. So etwas wird in den USA gern belohnt: Bigelow erhielt für den Film den Regie-Oscar - und erst dann spielte man den Film auch landesweit in den Kinos. Derzeit arbeitet Bigelow übrigens an einem politisch nicht unumstrittenen Film über die Jagd auf Osama bin Laden.

Als massentauglich hat sich keiner der "Irak-Filme" erwiesen, das Publikum findet Nationalstolz und Sicherheit wieder in herkömmlichen Blockbustern mit anderen Themen. Der Trend geht zur Abkapselung vor Eindringlingen, die im Zuge drohender Apokalypsen ein Land bedrohen. Zunehmend verlagern sich die modernen Kino-Kriegsschauplätze auch in das Fantasy-Genre, das dank epischer Erzählungen wie "Avatar" einen ungeahnten Höhenflug erlebte.

Terroristen kommen heute als Aliens auf die Erde, aus dem Weltall oder in Form von Avataren. Doch auch dahinter steckt prinzipiell die gleiche Botschaft wie in all den expliziten Aufarbeitungen des Themas: Vor dem Fremden will man sich schützen.