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Potenzial für Gespräche

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

Was für die EU derzeit unrealistisch erscheint, stellt sich der Ukraine anders dar: Das Land sei reif für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Union. Ex-Präsident Leonid Krawtschuk - auf Einladung der Österreichisch-Ukrainischen Gesellschaft und des Renner-Instituts derzeit in Wien - erläutert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", warum die Ukraine sich von der EU hingehalten fühlt.


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Für Leonid Krawtschuk besteht kein Zweifel: "Die Ukraine hat das Potenzial, Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union aufzunehmen." Der erste Präsident des Landes, jetzt Parlamentsabgeordneter und Fraktionsführer der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei der Ukraine, warnt davor, die Kritik an der Staatsmacht auf ein ganzes Volk auszuweiten. "Außer Vorwürfen seitens der EU haben wir noch kein klares Signal erhalten", erklärt er. Die Perspektive, die die Union eröffnet, sei nicht zufriedenstellend. Fünfzehn Jahre bis zu einem möglichen Beitritt seien zu lange. So dürfe die Suche nach "Alternativen" und eine Neuorientierung an den Osten - die ehemaligen GUS-Staaten - nicht verwundern.

Doch genau das könnte der EU Grund zur Sorge liefern. So will die Ukraine gemeinsam mit Russland, Weißrussland und Kasachstan eine Freihandelszone bilden, und ein von der EU unterstütztes Projekt könnte in weite Ferne rücken: die Pipeline, die kaspisches Öl aus dem ukrainischen Odessa ins polnische Danzig transportieren sollte. Doch Kiew will dem Drängen Russlands nachgeben und die Pipeline in umgekehrter Richtung, mit russischem Öl, betreiben. Begründet wird dies offiziell mit dem Desinteresse des Westens, verbindliche Verträge zu unterschreiben.

Pochen auf Menschenrechte

Auch wenn die Ukraine, ein Land mit knapp 50 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und einem erwarteten Wirtschaftswachstum von 9,5 Prozent, für Unternehmen attraktiv ist - die Europäische Union ortet noch genug Problemfelder. Auf die geforderte Einhaltung der Menschenrechte und Pressefreiheit angesprochen, meint Krawtschuk: "Ich war immer dagegen, die Medien unter Druck zu setzen." Es habe in den letzten Jahren keinen Prozess gegen Journalisten gegeben, weil sie die Meinungsfreiheit nutzten. Dass aber Journalisten ermordet wurden, kommentiert Krawtschuk mit der Feststellung, dass dies auch in anderen ehemaligen GUS-Staaten geschehe.

Richtung Demokratisierung

Dass die Ukraine noch einen weiten Weg vor sich hat, räumt Krawtschuk jedoch ein: Es gelte Gesetze dem europäischen Standard anzupassen, den Medien mehr Freiheiten zu gewähren, die Demokratisierung voranzutreiben. In diese Richtung werde auch die Regierung nach der Präsidentenwahl Ende Oktober arbeiten. "Die Ukraine war und ist europazentriert", betont Krawtschuk. Es gebe auch keine Anzeichen dafür, dass das Parlament von dieser Linie abgehe.

Doch nun seien auch Schritte seitens der EU notwendig. Je früher gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, umso schneller könne sich das Land entwickeln. Davon hält die EU-Kommission allerdings noch Abstand. Die Europäische Union werde sich auf absehbare Zeit nicht weiter nach Osten ausdehnen, hatte Erweiterungskommissar Günter Verheugen schon im Mai verkündet. n