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Prächtige Ruinen im Dschungel

Von Bernhard Widder

Reflexionen
Ivan prajc (Mitte) und Gefährten 2004 vor der Maya-Stele mit der ältesten Datumsangabe Mexikos. Foto: Sprajc/Hermagoras

Der slowenische Archäologe Ivan Šprajc entdeckte auf der mexikanischen Halbinsel Yukatán unbekannte Bauten der Maya-Kultur. Nun hat er seine Erfahrungen in einem spannenden Buch dargestellt.


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Im Juni 2013 wurde von internationalen Agenturen eine Nachricht verbreitet, die aufhorchen ließ: Im abgelegenen, kaum besiedelten Regenwald der ausgedehnten mexikanischen Naturschutz-Region Biosfera Calakmul("Biosphäre") hatten Archäologen ein bisher unbekanntes Zentrum der Maya-Kultur entdeckt, das 2013 Chactún(Maya-Yukatekisch für "Roter Stein") genannt wurde. Der Leiter der Expedition war der slowenisch-mexikanische Archäologe Ivan Šprajc.

Im Frühling 2014 wurde dann von weiteren Entdeckungen des Forscherteams in derselben Re- gion berichtet: eine Stätte wurde Tamchén("Tiefer Brunnen") genannt, und südwestlich davon fanden die langsam vordringenden Forscher Ruinen der Maya-Stadt Lagunita(Spanisch: "Kleiner See"), von der seit den 1970er Jahren einige Zeichnungen existiert hatten (sie waren im Peabody-Museum der Universität Harvard verwahrt; ihr Autor, der US-Archäologe Eric von Euw hatte sie nie publiziert). Als Fundort war Lagunita seit damals in Vergessenheit geraten.

Überraschend war die Herkunft des leitenden Archäologen Ivan Šprajc: Wie kam ein slowenischer Forscher dazu, im unwegsamen Inneren von Yukatán zu forschen? Und was genau hatte er entdeckt?

Als Slowene in Mexiko

Der Nebel hat sich nun gelichtet In seinem 2015 auf Deutsch erschienenen Buch "Verschollene Städte" unternimmt Ivan Šprajc eine chronologische Darstellung seiner Forschungen im Südosten des Bundesstaats Campeche, die 1996 mit einer ersten Expedition begonnen hatten. Vor einigen Wochen stellte Šprajc das Buch in Wien vor, und es ergab sich die Gelegenheit, ihm Fragen zu seiner bemerkenswerte Karriere als Archäologe zu stellen.

Ivan Šprajc, geboren 1955 in Maribor, studierte in den 1970er Jahren Archäologie und Ethnologie an der Universität von Ljubljana: "Meine Studien bezogen sich zwar auf europäische Archäologie, aber mich hatte die Archäologie Mittelamerikas schon länger interessiert. 1977 kam ich zum ersten Mal nach Mexiko, reiste zwei Monate lang. 1979/80 war ich acht Monate lang in Südamerika unterwegs, in Peru, Bolivien und Brasilien. Ich schloss mein Studium in Ljubljana ab, bewarb mich für ein Stipendium nach Mexiko (das durch ein Abkommen zwischen Mexiko und Jugoslawien bestand) und erhielt es.

1985-1989 studierte ich an der ‚Escuela Nacional de Antropología e Historia’ in Mexiko-Stadt. Ich konzentrierte mich auf Archäo-Astronomie, veröffentlichte später meine Master-Arbeit, die dem Symbolismus des Planeten Venus in Mesoamerika gewidmet war. (Mesoamerika ist ein archäologisches Kulturgebiet in Mittelamerika, in dem zahlreiche Völker vor der Kolonisierung lebten. Anm.) Ich arbeitete dann als Forscher für die INAH (Nationales Institut für Anthropologie und Geschichte Mexikos), schrieb meine Dissertation über die astronomische Bedeutung der Ausrichtung von Bauwerken in Zentral-Mexiko. Mein besonderes Interesse an der Maya-Kultur begann 1996, als ich von der INAH beauftragt wurde, ein Projekt zur ‚archäologischen Wieder-Entdeckung‘ im Südosten von Campeche zu leiten."

Šprajc lebte in Mexiko bis 1998, kehrte dann nach Ljubljana zurück, wo er an der slowenischen Akademie der Wissenschaften tätig ist. Er setzte die Forschungsreisen fort, im Auftrag der mexikanischen INAH, mit späterer Unterstützung durch "National Geographic" und durch private Sponsoren aus den USA, Slowenien und Österreich.

Die Aufgabe der Forschergruppe bestand im Wesentlichen darin, ein Regenwald-Gebiet von mehreren tausend Quadratkilometern zu durchsuchen, um Anlagen der klassischen Maya-Kultur neu zu kartieren und zu dokumentieren.

Wiederentdeckungen

Während der 1930er Jahre hatten Forscher dort verschiedene Stätten entdeckt, von denen einige freigelegt worden waren. Die Ausgrabungen wurden aber erst nach 1972 für den Tourismus zugänglich, als die einzige nationale Straße, die den Süden der Halbinsel durchquert, fertiggestellt wurde.

Die Aufzeichnungen des amerikanischen Archäologen Karl Ruppert (eines früheren Mitarbeiters des bekannten Sylvanus Griswold Morley, der als Vorbild für den "Dr. Jones" der frühen "Indiana Jones"-Filme gilt) standen Šprajc und seinen Kollegen zur Verfügung. Ruppert hatte bei der Freilegung der größten bisher bekannten Maya-Stätte, Calakmul, als Grabungsleiter gewirkt. Diese Anlage ist heute konserviert und erreichbar. Neun andere Orte, die Ruppert erstmals dokumentiert und beschrieben hatte, waren aber seit den 1930er Jahren verschollen geblieben, so eine große Ruinenstätte nahe der Grenze zu Guatemala, der Ruppert den Maya-Namen Uxul(Ende) gegeben hatte. (Šprajc zufolge wurde der Name gewählt, weil Uxul der letzte Fundort Karl Rupperts im Jahr 1934 gewesen war.)

Die Untersuchungen im südlichen Bereich der "Biosphäre" dauerten bis 2008. Zu den besonderen Funden zählt eine skulpturierte Stele aus Kalkstein, die mit für die klassischen Maya typischen Darstellungen von Herrschern und Schriftzeichen versehen ist. Die Zeitangabe auf der Stele wurde als der 5. Juli 396 n. Chr. entschlüsselt und gilt seitdem als das früheste Maya-Datum auf mexikanischem Territorium. Der Fundort hat den Namen Candzibaantun("Vier beschriebene Steine") und befindet sich wie Uxul knapp vor der Grenze zwischen Mexiko und Guatemala.

Damals hatten Šprajc und seine mexikanischen und slowenischen Gefährten achtzig Fundorte der Maya-Klassik wieder- oder neuentdeckt, mit Satelliten-GPS und digitalen Methoden vermessen und kartiert. So wurde dokumentiert, dass eine seit 1100 Jahren kaum besiedelte Urwaldregion vor 1300 Jahren dicht bebaut und kultiviert gewesen war.

Von 2012 bis 2014 untersuchten die Forscher erstmals die nördliche Biosphäre Calakmul. Dabei gelangen jene Funde dreier Maya-Zentren, die in den Presseberichten um die Welt gingen. Der dritte Ort, erst im Jahr 2014 entdeckt, wurde als "Lagunita" identifiziert. Und diese Wieder-Entdeckung hat eine reichlich mysteriöse Geschichte, die Ivan Šprajc mit viel Spannung erzählt: Die Gruppe entdeckt in der Dunkelheit des Urwalds überwachsene, gerade Plateaus, Pyramiden und Hofanlagen. Eine Wand aus behauenen Steinen, verziert mit geometrischen Details, wird gesichtet. Es handelt sich um ein Torgebäude, das als Gesicht eines Monsters gestaltet ist. Die Türöffnung ist das Maul des Monsters, dessen Zähne als Steinkegel aus dem Bodenbelag ragen. Der seltsame Bautyp der "Monster-Tore" ist in der Region bekannt.

Der Bildvergleich

Dass Lagunita als ein um 1978 bereits gezeichneter Ort identifiziert werden konnte, ist dem Grazer Maya-Forscher Karl Herbert Mayer zu verdanken. Mayer, mit Šprajc befreundet, hatte ihn auf die bereits erwähnten Fassadenzeichnungen des Monster-Tors von Eric von Euw hingewiesen. Ivan Šprajc hatte diese Zeichnungen auf seinem Laptop im Camp der Biosphäre dabei. Der Vergleich der Zeichnungen mit dem tatsächlichen Gebäude, das seit 1978 kein Forscher mehr gesehen hatte, führt zu dem sicheren Schluss, dass hier "Lagunita" war. Die komplexe Geschichte von verschollenen Archäologen, nicht publizierten Forschungsergebnissen und verschwundenen Fundorten beschreibt Šprajc in dem Kapitel "Die Geschichte von Lagunita".

Der chronologische Bericht der Aufenthalte in Campeche ist als Sachbuch verfasst, das sich der Stilmittel des Romans bedient (etwa direkte Rede). Er verbindet die Darstellung der Forschungsarbeit in unwegsamsten Gebieten mit der lebendigen, oft humorvollen Beschreibung des monatelangen Lebens in improvisierten Camps im Urwald, und der Aufenthalte in den modernen Siedlungen entlang der Hauptstraße. Seinen Kollegen widmet der Autor eigene Porträts, um darzustellen, wie sehr eine Forschungstätigkeit dieser Art von verlässlichen Gruppen abhängig ist.

Das erste Kapitel des Buchs beginnt wie ein lateinamerikanischer Roman, der zuerst das geografische und klimatische Umfeld erläutert: "Der tropische Regenwald besitzt eine eigenartige Kraft. Das schier endlose, grüne Dickicht verdeckt den Blick, schränkt die Bewegung ein und er erfüllt jeden, der es bezwingen möchte, mit einem Gefühl der Machtlosigkeit. Gefahren lauern hier auf Schritt und Tritt."

Das Thema der archäologischen Entdeckung mag spannend klingen. Šprajc  führt jedoch aus, was diese Art von Forschung auch bedeutet: wenig Budget, wenig öffentliches Interesse, schlechte Bedingungen für Arbeit und Leben, schwieriges Klima, Verzicht auf jeden Komfort über Monate. In den Trockenzeiten wird Wasserknappheit ein Problem, da paradoxerweise der Regenwald Campeches einen Karstboden aus Kalk aufweist. Gefahren gehen von giftigen Pflanzen, Schlangen, Skorpionen, Zecken und Moskitos aus. Dazu kommen Krankheiten wie Malaria und weitere, kaum erforschte Erreger, desgleichen Naturgewalten wie Tropenstürme und Überflutungen.

Ungelöste Rätsel

Somit ist das Buch auf sehr aktuellem Wissenstand, wenn man die Region betrachtet, die weiterhin "große weiße Flecken" enthält. Gebiete mit Durchmessern von Hunderten Kilometern sind bis heute kaum erforscht. Vor etwa 1300 Jahren war die heute undurchdringliche tropische Landschaft jedoch dicht bebaut und kultiviert, in der späten Phase der sogenannten "klassischen" Epoche der Maya-Kultur. Vom 9. bis 10. Jahrhundert ereignete sich eine Katastrophe, die den relativ jähen Abbruch der Zivilisation bewirkte. Die ungeklärte Frage nach den Gründen für das Ende dieser Kultur beschäftigt die internationale Maya-Forschung bis heute. Šprajc meint dazu:

"Gerade die Tatsache, dass zahlreiche Überreste ihrer einst so prächtigen Städte - Ruinen herrlicher Tempel und Paläste, Steinmonumente mit Reliefs und enigmatischen Hieroglyphentexten - tief im Dschungel gefunden wurden oder unter riesigen tropischen Bäumen, von Schlingpflanzen überwuchert, immer noch der Entdeckung harren, gerade dieses exotische und scheinbar zivilisationsfeindliche Umfeld übt bis zum heutigen Tag jenen starken romantischen Zauber aus, der die Maya schon seit der Zeit der ersten Reisenden und Forscher umgibt."

Ivan Šprajc: Verschollene Städte.
Archäologische Abenteuer im Land der Maya. Aus dem Slowenischen übersetzt von Sonja Kert-Wakounig. Mohorjeva/ Hermagoras Verlag, Klagenfurt 2015. 287 Seiten, 31,90 Euro.