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Prag beschließt Erklärung zu Benes-Dekreten

Von Heike Hausensteiner

Europaarchiv

Das Prager Abgeordnetenhaus hat gestern die Erklärung zu den umstrittenen Benes-Dekreten diskutiert, auf die sich die Chefs der Parlamentsparteien vergangene Woche geeinigt hatten. Heute wird die Erklärung voraussichtlich im Unterhaus beschlossen. Dem Entwurf zufolge soll festgehalten werden, dass die Nachkriegs-Rechts- und -Eigentumsverhältnisse "unantastbar und unveränderlich" seien. Präsident Vaclav Havel unterstützt die Erklärung. Doch die Tschechische Republik sollte nicht "Dämonen der Vergangenheit" wecken.


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Die Rechts- und Eigentumsverhältnisse in Tschechien, die aus den Nachkriegs-Benes-Dekreten hervorgehen, können laut dem All-Parteien-Konsens nicht in Frage gestellt werden, geht aus dem Entwurf hervor. Die Gesetzgebung aus den Jahren 1940 bis 1945, einschließlich der Dekrete des seinerzeitigen Staatspräsidenten Edvard Benes, sei ähnlich wie in anderen europäischen Staaten als Folge des Krieges und der Niederlage des Nationalsozialismus entstanden.

Die Nachkriegsgesetze und Präsidenten-Dekrete seien in der Zeit nach ihrem Erlass realisiert worden; und heute könnten auf deren Grundlage keine neuen Rechtsverhältnisse entstehen, heißt es weiters in dem Entwurf des Dokuments. Demnach soll das tschechische Abgeordnetenhaus die Bemühungen ablehnen, jene Fragen aufzurollen, die mit dem Ende und den Ergebnissen des Zweiten Weltkriegs zusammen hängen. Das Ausmaß der Restitution und der entsprechenden Gesetzgebung dazu lägen völlig und ausschließlich in der Kompetenz der tschechischen Verfassungsorgane.

All-Parteien-Konsens

Auf die Erklärung haben sich alle Parlamentsparteien, also die Sozialdemokraten, die konservative Demokratische Bürgerpartei, die christdemokratische Volkspartei, die rechtsliberale Freiheitsunion und die Kommunisten, bei einem Frühstück mit Außenminister Jan Kavan geeinigt. Sie ist als offizielle Reaktion Prags auf die aktuelle Debatte zu den Benes-Dekreten in Österreich, Deutschland, Ungarn und im Europaparlament vorgesehen.

Thema festzurren

Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen in acht Wochen bemühe sich Prag, dass das Thema der Benes-Dekrete "festgezurrt" werde, meinte im Vorfeld des heutigen Beschlusses Arnold Suppan vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Offenbar sollten "alle Parteien auf einen Nenner vergattert" werden, so der Historiker Suppan.

Staatspräsident Vaclav Havel unterstützt den von den politischen Parteien vorbereiteten Entwurf der Erklärung des Prager Abgeordnetenhauses zu den Benes-Dekreten. "Ich habe gegen den Text nicht einmal die kleinsten Einwände. Ich unterstütze ihn, weil er auch meine Auffassung ausdrückt", erklärte Havel nach einem Treffen mit dem Chef des Abgeordnetenhauses, Vaclav Klaus. Wenn er, Havel, irgendwelche Einwände habe, dann in dem Sinne, dass Tschechien nicht "Dämonen der Vergangenheit" wecken sollte.

Kein Hindernis für EU-Beitritt

Die Benes-Dekrete waren gestern auch Gegenstand einer heftigen Debatte im gemischt-parlamentarischen Ausschuss EU-Tschechien. ÖVP-EU-Abg. Ursula Stenzel, Vorsitzende des EU-Tschechien-Ausschusses, berichtete via Aussendung, dass die Abgeordneten des EU- und des tschechischen Parlaments keine Übereinstimmung erzielen konnten. Nur so viel: Die Benes-Dekrete sollen kein Hindernis für einen EU-Beitritt Tschechiens darstellen.

Bei den meisten Dekreten bestand ein Widerspruchsrecht. Im Chaos der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es aber in der Tschechoslowakei keine detaillierte Prüfung. Nach Ansicht von Juristen beruhen viele der Bestimmungen auf dem Prinzip einer Kollektivschuld der deutschen und ungarischen Minderheit. Das widerspricht den allgemeinen Menschenrechten.

Auszüge aus den Bestimmungen

Auf Grundlage von fünf der vom damaligen CSR-Präsidenten Edvard Benes zwischen 1940 und 1945 erlassenen Verfügungen wurden die drei Millionen Deutschen sowie die ungarische Minderheit ihrer politischen Rechte und wirtschaftlichen Lebensgrundlage beraubt.

Gegenstände wurden ohne Entschädigung enteignet (Dekret Nr. 5, § 4a): "Als staatlich unzuverlässige Personen sind anzusehen: Personen deutscher oder magyarischer Nationalität." Nach § 2.1 war ihr "Eigentum unter nationale Verwaltung zu stellen". Auch Immobilien wurden enteignet (Nr. 12, § 1.1a): "Mit sofortiger Wirksamkeit und entschädigungslos wird für die Zwecke der Bodenreform das landwirtschaftliche Vermögen enteignet, das im Eigentum steht: aller Personen deutscher und magyarischer Nationalität, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit."

Zur Ausbürgerung (Dekret Nr. 33, § 1.1 und § 1.2): "Die tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität, die nach den Vorschriften einer fremden Besatzungsmacht die deutsche oder magyarische Staatsbürgerschaft erworben haben, haben mit dem Tage des Erwerbs dieser Staatsangehörigkeit die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft verloren. Die übrigen tschechoslowakischen Staatsbürger deutscher oder magyarischer Nationalität verlieren die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit dem Tage, an dem dieses Dekret in Kraft tritt."

Der Schutz vor Strafverfolgung wurde 1946 geregelt: "Eine Handlung, die zwischen dem 30. September 1938 und dem 28. Oktober 1945 vorgenommen wurde, um einen Beitrag zum Kampf um die Wiedergewinnung der Freiheit der Tschechen und Slowaken zu leisten, (...) ist auch dann nicht widerrechtlich, wenn sie sonst nach den geltenden Vorschriften strafbar gewesen wäre."