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Prag: "Zurück in die Zukunft"

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

Am Wochenende hat Prags Premier Stanislav Gross seinen Rücktritt angeboten und Jan Kohout, den tschechischen EU-Botschafter, als seinen Nachfolger vorgeschlagen. Der Weg zur Neuauflage der gescheiterten Koalition scheint damit frei zu sein.


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Der große Sieger in dem seit Wochen andauernden Macht-Poker ist allem Anschein nach Miroslav Kalousek. Der Parteiführer der ehemals mitregierenden Christdemokraten hatte - kaum war Premier Gross wegen dubioser Wohnungskäufe in die Schlagzeilen geraten - eine Fortführung der Koalitionsregierung ohne Gross gefordert. Einige Wochen und politische Schachzüge später ist Kalousek jetzt am Ziel seiner Wünsche. Nachdem seine Partei aus dem Regierungsbündnis ausgeschieden war und der Sozialdemokrat Gross ein Misstrauensvotum im Parlament nur mit Hilfe der Alt-Kommunisten überlebte, will man in Tschechien wieder zu jenem Zustand zurück, wie er vor dem Zerbrechen der Koalition bestanden hatte. Innerhalb der EU-freundlichen Sozialdemokraten scheint man zuletzt zu der Überzeugung gekommen zu sein, dass man mit den Europa-feindlichen Kommunisten, auf deren Unterstützung man bis zu den nächsten Wahlen angewiesen gewesen wäre, politisch kaum reüssiert hätte.

Die neue, EU-kompatiblere Regierung sieht also einigermaßen "alt" aus: Sozialdemokraten, Christlichsoziale und Liberale bilden wieder eine Koalition, allerdings mit Jan Kohout an der Spitze. Erst wenn sich die drei beteiligten Parteien auf eine Neuauflage der Koalition geeinigt haben, will Gross tatsächlich zurücktreten. Derzeit spießt es sich noch an offenen Personalfragen. Christdemokraten-Chef Kalousek will die Minister seiner Fraktion wieder in der Regierung haben. Setzt er sich mit dieser Forderung durch, dann wäre sein Triumph perfekt. Die Sozialdemokraten wollen - schon um ihr Gesicht zu wahren - eine Rückkehr der drei Minister verhindern. Eine Entscheidung könnte dieser Tage fallen.

Auftrieb für EU-Befürworter

In Brüssel werden die Entwicklungen in Prag jedenfalls mit Wohlwollen aufgenommen. Der mögliche neue Premier Kohout lässt bereits prüfen, ob einen Annahme der EU-Verfassung durch einfache Mehrheit im Parlament möglich wäre. Damit würde er eine Volksabstimmung, deren Ausgang mehr als zweifelhaft ist, umgehen. Ausgebootet wäre auch die Opposition, bestehend aus der konservativen ODS und den Kommunisten. Beide sind, unterstützt von Staatspräsident Vaclav Klaus, gegen die EU-Konstitution.