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Vor 70 Jahren wurde der ÖGB gegründet - neue Rahmenbedingungen erfordern neue Strategien.
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Wien. Am 13. April 1945 endete die "Schlacht um Wien". Und noch am gleichen Tag einigte sich in der Wohnung von Josef Battisti (1900-1990) eine Gruppe sozialistischer Gewerkschafter auf die Gründung eines einheitlichen Gewerkschaftsbundes. Zwei Tage darauf, am 15. April, fand die Gründungsversammlung statt. Battisti hatte schon während des Krieges den Kontakt zu Gewerkschaftern der anderen Parteien gehalten. Im Folgenden ein Gespräch mit dem Politologen Emmerich Tálos über die Gründung des ÖGB und dessen heutigen Herausforderungen
"Wiener Zeitung": Was war ausschlaggebend, einen gemeinsamen ÖGB-Dachverband zu gründen?Emmerich Tálos: Wie die Debatte intern abgelaufen ist, weiß ich nicht. Ähnlich wie bei den Parteien gab es auch unter den Gewerkschaftern noch während des Krieges erste Kontaktaufnahmen mit dem politischen Gegner. Dass Spitzenfunktionäre der zuvor verfeindeten politischen Lager dann gemeinsam in NS-Konzentrationslagern saßen, ist ja auch der Kern der Geschichte vom "gemeinsamen Geist der Lagerstraße", der dann ab 1945 zur breiten Zusammenarbeit führte. Der Konsens bei den Gewerkschaftern war rasch gegeben, sich durch die Gründung eines gemeinsamen, überparteilichen Dachverbands von der Tradition der Ersten Republik deutlich abzugrenzen, wo es ja noch konkurrierende Richtungsgewerkschaften gab.
Durch die Gründung des ÖGB fielen die ideologischen Konflikte in der Gewerkschaft nicht einfach weg. Beim legendären Eisenbahnerstreik 1950 kam es dann ja auch zur Eskalation.
1945 stand der Wiederaufbau im Vordergrund; das zeigte sich auch darin, dass ein KPÖ-Vertreter zum ÖGB-Vizepräsidenten gewählt wurde. Die Konflikte innerhalb des ÖGB wurden erst sichtbar, als es um die Strategie bei Kollektivverträgen und Lohnerhöhungen ging. Hier war das Jahr 1950 zentral, weil sich zeigte, dass die klare Mehrheit im ÖGB für einen pragmatischen und den allgemeinen Interessen verpflichtenden Kurs stand. Die Kommunisten im ÖGB strebten dagegen einen härteren Kurs inklusive Streiks an. In der Folge wurde dann auch der kommunistische ÖGB-Vize ausgeschlossen. Das war die letzte grundsätzliche Auseinandersetzung über die Strategie des ÖGB, die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung stand danach nie mehr infrage. Nur weil sich der ÖGB auch den allgemeinen Interessen verpflichtet fühlte, konnte er im Laufe der Zweiten Republik zu einem zentralen Akteur der Politik aufsteigen.
In den vergangenen 20 Jahren haben sich die politischen Rahmenbedingungen für den ÖGB massiv geändert: Der Anteil der organisierten Arbeitnehmer sinkt, Technologisierung, Europäisierung und Globalisierung sowie niedriges Wachstum engen den Spielraum ein.
Ja, der ÖGB steht heute vor enormen Herausforderungen. Wie kann er seinen Einfluss behalten, wie kann die Organisation an die neuen Bedingungen angepasst werden, welche Strategien und Inhalte braucht es dazu? Der ÖGB wird eine Zukunft haben, die Frage ist nur welche.
Was bedeuten diese Herausforderungen für die Verflechtung mit dem siamesischen Zwilling der Gewerkschaftsbewegung, der SPÖ?
Durch den Wandel der Parteienlandschaft im Parlament ist grundsätzlich der einst hohe Anteil an Sozialpartnern, nicht nur der Gewerkschafter, zurückgegangen. Es gibt zwar nach wie vor das vertikale Netzwerk zwischen SPÖ, Gewerkschaft und Arbeiterkammer, es hat nur deutlich an Einfluss verloren. Ob das System der Sozialpartnerschaft überleben wird, wird deshalb stark von der künftigen Regierungszusammensetzung abhängen.
Was bedeutet es für den ÖGB, dass immer mehr Arbeiter die rechtspopulistische FPÖ wählen, die im ÖGB faktisch nicht vertreten ist?
Der ÖGB hat gleich mehrfach ein Positionierungsdilemma: Konzentriert er sich auf die Interessenvertretung der Arbeitnehmer, kann dies zu Konflikten mit der Regierung führen, die auch andere Interessen berücksichtigen muss, etwa die Budgetkonsolidierung. Das geänderte Wahlverhalten vieler Arbeiter spielt derzeit noch keine große Rolle, einfach weil dieser Konflikt noch nicht in den Strukturen des ÖGB selbst angekommen ist, da es kaum FPÖ-Gewerkschafter gibt. Hinzu kommt, dass die klassischen Arbeiter zahlenmäßig weniger werden, während die Dienstleistungsberufe stark wachsen.
Welche Zukunft also prognostizieren Sie dem ÖGB?
Der konkrete Einfluss wird davon abhängen, welche Parteien künftig in der Regierung sitzen. Ganz generell aber ist der Legitimationsdruck auf den ÖGB seit den 1980ern stark gestiegen, die Bawag-Affäre 2006 hat dann die Glaubwürdigkeit in den Keller sinken lassen. Heute steht der ÖGB im Vergleich zu damals wesentlich besser da, einfach weil sich seit Ausbruch der Finanzkrise die Notwendigkeit starker Gewerkschaften in den letzten Jahren deutlich gezeigt hat.
Emmerich Tálos, geboren 1944, studierte
Tálos Theologie und Geschichte sowie Politikwissenschaft. Von 1983 bis
2009 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien.