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Beppe Grillos 5-Sterne-Bewegung könnte zweitstärkste Fraktion werden.
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Rom. Rund 51 Millionen Italiener - 26,4 Millionen Frauen und 24,6 Millionen Männer - sind am Sonntag und Montag dazu aufgerufen, die 630 Mandatare des Abgeordnetenhauses und 315 Senatoren neu zu wählen. Die Veröffentlichung von Wahlumfragen ist zwar seit zwei Wochen verboten, trotzdem sickerte knapp vor den Wahlen durch, dass es zu einem spannenden Rennen zwischen den Pragmatikern auf der Seite - dem Chef der Mitte-Links-Koalition, Pier Luigi Bersani, und dem amtierenden Premier Mario Monti - und den Populisten auf der anderen - Silvio Berlusconi und dem Starkomiker Beppe Grillo - kommen könnte.
Instabile Verhältnisse im Senat befürchtet
Es bestehen kaum Zweifel daran, dass Bersanis Koalition als stärkste Gruppe aus den Parlamentswahlen hervorgeht und im Abgeordnetenhaus durch den Siegerbonus für die stärkste Gruppe eine absolute Mehrheit bekommt. Anders sieht es aber im Senat aus, wo der Siegerbonus in den jeweiligen Regionen vergeben wird. Da Mario Montis Zentrumsblock im Wahlkampffinale schwächelt, könnte es dazu kommen, dass nicht einmal seine Senatoren zu einer stabilen Mehrheit für die Mitte-Links-Koalition im Senat ausreichen.
Der populistische Starkomiker Beppe Grillo, der selbst gar nicht als Kandidat antritt, aber mit seiner "Tsunami-Tour" überall im Land die Plätze füllte, könnte am Montagabend die große Überraschung des Wahlausgangs werden. Politbeobachter trauen Grillo zu, dass sein Movimento-5-Stelle (5-Sterne-Bewegung) im Wahlkampffinale sogar Silvio Berlusconis Rechtskoalition von Platz zwei verdrängt. Dementsprechend hat der Ex-Premier in seinen letzten Wahlkampfauftritten Breitseiten gegen Grillo abgefeuert, ebenso wie der scheidende Regierungschef Monti, der Grillo als "große Gefahr" bezeichnete.
Möglicherweise entscheiden Grillos Abgeordnete im Senat über die Stabilität der Regierung des Mitte-Links-Blocks. Eine Unterstützung für Berlusconi, gegen den Grillo während dessen Regierung mit Vaffanculo-Days (Leck-mich-am-Arsch-Tagen) Stimmung gemacht hatte, scheint eher ausgeschlossen.
Grillo, der je nach Bedarf gegen das Politestablishment und gegen die EU wettert, mitunter auch homophobe Töne anschlägt und auch keine Berührungsangst zu rechtsextremen Gruppen zeigt, ist mit seiner 5-Sterne-Bewegung aber nicht das einzige Enfant terrible dieses italienischen Wahlkampfes, wenn auch das erfolgreichere. Der etwas schrille, wirtschaftsliberale Journalist Oscar Giannino, der in den letzten Tagen vor der Wahl wegen Unklarheiten in seinem Lebenslauf in Bedrängnis geraten ist, ist ein ähnlicher Einzelkämpfer wie Grillo und will mit seiner Gruppe "Fare per fermare il declino" (Etwas tun, um den Niedergang zu stoppen) ins Parlament einziehen.
Diesen beiden Einzelkämpfern stehen vier Koalitionen, eine kleine, eine mittlere und zwei große gegenüber.
Der Staatsanwalt Antonio Ingroia führt eine Partei namens "Rivoluzione Cicile" an, der sich die Partei "Italien der Werte" des früheren Starstaatsanwalts Antonio di Pietro, die vor fünf Jahren noch Koalitionspartner der PD war, die altkommunistische Rifondazione comunista, die Partei der italienischen Kommunisten und die Grünen angeschlossen haben. Die "Rivoluzione Civile" hat sich vor allem den Kampf gegen organisiertes Verbrechen und die Korruption auf die Fahnen geschrieben. In den letzten Umfragen lag diese Gruppe bei rund fünf Prozent und sie könnte unter Umständen das Zünglein an der Waage werden.
Zentrumskoalition muss um Parlamentseinzug zittern
Die mittlere Koalition ist die Zentrumskoalition rund um Mario Monti. Unter dem Namen "Scelta Civica con Monti per l’Italia (Die staatsbürgerliche Wahl - Mit Monti für Italien) tritt sie nur im Senat geschlossen auf. Im Abgeordnetenhaus ist sie eine Koalition aus der Monti-Gruppe, der christdemokratischen UDC des früheren Parlamentspräsidenten Pier Ferdinando Casini und der Rechtspartei des scheidenden Parlamentspräsidenten Gianfranco Fini "Zukunft und Freiheit in Italien" (FLI). In den letzten veröffentlichten Umfragen lag diese Koalition um die zehn Prozent und musste damit um den Einzug in das Parlament bangen.
Monti hat in den letzten Tagen durch täglich wechselnde Aussagen und politische Schnitzer viel von seinem Ansehen verloren, das bei der italienischen Bevölkerung ohnehin schon wegen seiner Sparpolitik angekratzt war.
In den letzten veröffentlichten Umfragen lag die Mitte-Rechts-Koalition um Silvio Berlusconi, die seit Jahresbeginn beständig zulegen konnte, mit etwa 27 Prozent noch deutlich auf Platz zwei. Zu dieser Koalition zählen neben Berlusconis Partei Popolo della Liberta (Volk der Freiheit - PdL) und der Lega Nord noch die von der PdL abgespaltene Partei "Fratelli d’Italia - Centrodestra Nationale" (Brüder Italiens - Nationale Rechte Mitte), die aus Anhängern der ehemaligen postfaschistischen Nationalen Allianz (AN) besteht, sowie die seinerzeit von der AN abgespaltene "La Destra" (Die Rechte) und weitere acht Gruppen, die aber jeweils nur in einzelnen Regionen, nicht aber landesweit antreten.
Im Wahlkampf trat weitgehend nur Silvio Berlusconi alleine auf, mit Veranstaltungen, die an frühere Wahlkämpfe erinnerten, bei denen er gemeinsam mit den inzwischen abgefallenen Verbündeten Casini und Fini zur Parole "Wer nicht mitspringt, ist Kommunist" um die Wette hüpfte und von seinen Anhängern die inoffizielle Parteihymne "Gottseidank gibt es Silvio" trällern ließ.
Sein Wahlkampf war eine Mischung aus alten und neuen Versprechungen - wie etwa dem Bau der Brücke nach Sizilien und der Rückzahlung der von Mario Monti wiedereingeführten Immobiliensteuer - und antieuropäischen und antideutschen Parolen.
Ministerpräsident kann er selbst im Fall eines unwahrscheinlichen Wahlsieges nicht mehr werden, da der Koalitionspartner Lega Nord dagegen ein Veto eingelegt hat. Er hat aber bereits angekündigt, dass er Wirtschaftsminister werden will, was europaweit mit einer Mischung aus Entsetzen und Gelächter wahrgenommen wurde.
Im Gegensatz zu seinen politischen Mitbewerbern ist der chancenreichste Kandidat für das Amt des künftigen Regierungschefs, Pier Luigi Bersani, der Einzige, dessen Name nicht auf dem Parteisymbol aufscheint. Bersani, der Parteichef der Demokratischen Partei, der in Vorwahlen als Kandidat für das Amt des Regierungschefs gewählt wurde, hat eine Koalition mit der linksökologischen Partei SEL des apulischen Regionalpräsidenten Nichi Vendola und dem christdemokratisch orientierten Demokratischen Zentrum von Bruno Tabacci geschlossen. Sowohl Vendola als auch Tabacci waren in den Vorwahlen ebenfalls angetreten. Dazu kommen noch einige kleinere Listen, die aber nur in einzelnen Regionen antreten, wie die Sozialistische Partei in Latium, Kampanien und Kalabrien, die Moderaten in Sizilien und in der Lombardei und die Bewegung "Megafon" des linken sizilianischen Regionalpräsidenten Rosario Crocetta.
Spekulationen um Präsidentenwahl
Zuletzt spielten auch noch Spekulationen rund um die im Mai anstehende Präsidentenwahl eine Rolle im Wahlkampf, nachdem Berlusconi eine Wiederwahl des 87-jährigen Giorgio Napolitano vorgeschlagen hatte, und auch Monti, der zuvor die Ex-EU-Kommissarin Emma Bonino für dieses Amt genannt hatte, sich das vorstellen könnte. Allerdings hat Napolitano selbst eine Wiederkandidatur, die es in Italien noch nie gegeben hat, ausgeschlossen.