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Galt sie früher als zu spröde, ist Merkel nun Deutschlands populärste Politikerin.
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Berlin. Dass Angela Merkel am Zenit ihrer Macht steht, ist eine maßlose Untertreibung. Deutschlands Kanzlerin gelang am Sonntag nicht nur ein fulminanter Wahlsieg, sondern auch Historisches: Die 59-Jährige bezieht mit ihrem Triumph zum dritten Mal nach 2005 und 2009 das Büro im Berliner Kanzleramt.
Willy Brandt schaffte keine zweite Wiederwahl, ebenso wenig Helmut Schmidt, und dies gelang auch nicht Gerhard Schröder. Übertrumpft wird Merkel nur von zwei weiteren Konservativen, die von besonderen Konstellationen profitierten: Von Helmut Kohl, dem Mauerfall und Zusammenbruch der Sowjetunion zupass kamen; er hielt sich dadurch 16 Jahre an der Macht. Und Konrad Adenauer regierte in der Gründungs- und Aufbauphase der Bundesrepublik Deutschland 14 Jahre. Kohl hatten die Deutschen bei seiner Abwahl 1998 satt, von Angela Merkel können sie nicht genug bekommen.
Bloß nicht überfordern
Zu keinem Zeitpunkt gelang es der SPD, eine Wechselstimmung im Land zu erzeugen. Daran laborierten die Sozialdemokraten viel mehr als an den Tollpatschigkeiten ihres Spitzenkandidaten Peer Steinbrück. Von einer Frau, die als zu sachlich, zu spröde, ideologisch zu flexibel und zu wenig bürgernah galt, ist Merkel in den vergangenen Jahren zur mit Abstand beliebtesten Politikerin Deutschlands aufgestiegen - und mit ihrer Popularität hat sie die Union am Sonntag zum fulminanten Wahlerfolg geführt.
Politische Kontrahenten verhöhnten die Tochter eines evangelischen Pfarrers gerne als "Mutti". In Zeiten von Finanz-, Euro- und Schuldenkrise suchten die Bürger gerne dann bei ebenjener "Mutti" Schutz - und die CDU tat im Wahlkampf alles dafür, dass sie ihn bei Merkel fanden, um den früheren Makel in einen Bonus zu verwandeln. "Wir sind eine Familie", rief gar die Sängerin vor Merkels Auftritt beim Wahlkampffinale am Samstag im Berliner Tempodrom den tausenden Anhängern zu. Begeistert hielten diese Schilder in die Höhe: "Angie" prangte auf der Vorderseite, "Gemeinsam erfolgreich" auf der Rückseite.
Einfache und eingängige Botschaften, die boten die Konservativen im Wahlkampf. Und die Bürger griffen beherzt nach den Informationshäppchen. Nirgends war das deutlicher zu sehen als beim einzigen TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück. Der sozialdemokratische Herausforderer jonglierte mit Zahlen, Daten und Fakten, warnte, zürnte und insistierte. Merkel hatte über 90 Minuten eine Kernbotschaft, die in dem Satz gipfelte: "Liebe Bürger, Sie kennen mich. Wir hatten vier gute Jahre miteinander."
Als "Lego-Sprache" tituliert der Oxford-Historiker Timothy Garton Ash den rhetorischen Stil Merkels. Niemals macht die promovierte Physikerin ihre intellektuelle Überlegenheit deutlich, niemals überfordert sie die Zuhörer.
Grenzen des Machbaren
Aber Merkel konnte in der Vergangenheit auch anders. Als Gerhard Schröder 2003 die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Agenda 2010 auf den Weg brachte, gingen die Maßnahmen für den Geschmack der damaligen Oppositionsführerin nicht weit genug. Auch Schröders Ablehnung des Irak-Kriegs wies Merkel zurück, sie unterstützte die Intervention unter dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush.
Damit verlangte Merkel den Deutschen viel ab - und sie lernte in dieser Zeit die Grenzen des politisch Machbaren kennen. Weder unter der großen Koalition von 2005 bis 2009 noch unter Schwarz-Gelb ab 2009 traute sich die Bundeskanzlerin über weitere Reformen, sondern verwaltete das Erbe Schröders.
Das einzige Großprojekt in den vergangenen vier Jahren, die Energiewende, ist Merkel passiert. Erst mit der Atom-Katastrophe von Fukushima dachte die Regierung um, aber die Planung für die künftige Stromversorgung stottert. Dabei steht an der Spitze des Umweltministeriums mit Peter Altmaier ein Vertrauter der Regierungschefin.
Er gehört zum Kreis der "Minimalinvasiven" genauso wie Generalsekretär Hermann Gröhe, Fraktionschef Volker Kauder und der im Zuge der NSA-Spitzelaffäre in die Kritik geratene Kanzleramtsminister Ronald Pofalla. Sie alle pflegen einen ergebnisorientierten Stil.
Politische Alphatiere wie Ex-Kanzler Schröder und den früheren grünen Außenminister Joschka Fischer sucht man in Merkels Umfeld vergeblich. Auch auf dem internationalen Parkett werden die charismatischen Figuren bei der Linken wie Rechten in Europa rar: Tony Blair ist abgetreten, Nicolas Sarkozy ebenfalls im politischen Ausgedinge. Übrig blieb die Sachpolitikerin Merkel.
Auch die Entourage der Kanzlerin unterscheidet sich deutlich von jener anderer Spitzenpolitiker, wie die "Zeit" nun offenlegte: Die CDU-Chefin vertraut auf ihre Büroleiterin Beate Baumann, bei ihr fungieren Männer und Frauen als Berater. Die sozialdemokratische Führungstroika aus Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier hingegen hat jeweils zwei männliche engste Vertraute - neun Männer, die eine homogene Gruppe bilden.
Kanzlerin wird sich ändern
Merkel führt nicht nur moderner als die SPD und die personell verknöcherten Grünen, sondern auch ideologisch flexibler. Diese inhaltliche Beliebigkeit, vom Schwenk auf das Berufsheer bis zum Abkupfern der SPD-Idee einer Mietpreisbremse, wird in der CDU nach Merkel für große Diskussionen sorgen.
Doch zuvor wird die deutsche Bundeskanzlerin sich ändern: In den Jahren des Krisenmanagements waren rasche Analysen samt Abwägen der Optionen erforderlich - Merkels Kernkompetenz. Stabilisiert sich Europa, müssen entscheidende Fragen endlich geklärt werden; die Krise in Syrien zum Beispiel zeigt seit Jahren, auf welch tönernen Füßen die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik steht.
Auch daheim müssen bei der Energiewende richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden. "Mutti" hat ausgedient, für eine neue Strategie benötigt es eine andere Angela Merkel.