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Pragmatisierte Ungleichheit und Gerechtigkeit vertragen sich nicht

Von Bernhard Löhri

Gastkommentare

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Die unselige Debatte zur Pensionsreform hat auch die "Ruhensbestimmungen" wieder einmal in den politischen Diskurs gebracht. Gipfelpunkt der Überlegungen war ja die Forderung der Regierung, arbeitswilligen Pensionisten nach Erreichung der Pensionsgrenze von 60/65 Jahren für weitere drei Jahre die Pension zu kürzen, so diese auf die "unsolidarische" Idee kommen, weiterarbeiten zu wollen. Von ihren eigenen Pensionisten-Lobbys geschockt, relativierten Kanzler und Vizekanzler diesen Vorschlag, aber irgendwie ist das Thema auf dem Tisch geblieben.

Alleine das Faktum, dass dieser Gedanke in der politischen Landschaft herumgeistert, ist verräterisch und zeigt eine Einstellung der Politik auf, die in dem Leistung erbringenden Bürger primär den Zahler sieht, welcher zu kuschen und Objekt aller Belastungs- Fantasien und Begehrlichkeiten zu sein hat. Die arbeitsmarktpolitische Untauglichkeit des Vorschlags liegt übrigens im Zu- und Umstand, dass unser Arbeitsmarkt in der Tat in ein handfestes Demographie-Problem taumelt und wir es uns daher nicht leisten sollten, nachgefragten Arbeitskräften im Alterssegment 60/65 plus ihre Arbeitsbereitschaft mit aller Gewalt abgewöhnen zu wollen. Wollen wir nämlich den Sozialstaat im jetzigen Format aufrechterhalten, bedarf es wirkungsvoller Gegensteuerung zur Demographie-Entwicklung mit schrumpfendem Arbeitsmarktpotenzial. Neben gezielter Einwanderung (potenzieller) Leistungsträger wird auch die Bereitschaft zur Weiterarbeit von Menschen dieses Alterssegmentes gefragt sein.

Ungleiche Ruhensbestimmungen

Mit der von der Politik angedachten Enteignung von Teilen der Pensionsansprüche zementiert die Politik jedoch achselzuckend eine existente Demarkationslinie unserer Gesellschaft: Denn Beamte dürfen hierzulande ja selbst bei Frühpensionierungen Nebenverdienste unbegrenzt lukrieren, ohne dass ihnen die Pension gekürzt wird, während Herr und Frau Normal-Österreicher bis zum Regelpensionsalter starren Ruhensbestimmungen unterworfen sind und damit Nichtstun der oft ungewillt frühzeitig Verrenteten quasi erzwungen wird - mit all den negativen Implikationen bis zum medizinischen und mentalen Wohlbefinden.

Versuche, dies zu ändern und auch Beamte einem Regime von Ruhensbestimmungen zu unterwerfen, hat eine routinierte Lobby dank Verfassungsgerichtshof mit einem Bannstrahl geächtet. Es soll hier ja Spezialisten geben, die neben ihrem öffentlichen Ruhebezug (!) wiederum Jobs im öffentlichen Bereich annehmen und ungeniert doppelt kassieren. Der Gedanke des ersatzlosen Streichens der Ruhensbestimmungen im Bereich der Frühpensionen wäre daher zu begrüßen, allerdings sind Ruhensbestimmungen für privilegierte Pensionsbezieher aus öffentlichen Quellen durchaus fair, legitim und ein Beitrag zu mehr Gerechtigkeit.

Die unterschiedliche Behandlung von Menschen aus dem Risikosektor der Werte schaffenden Gesellschaft einerseits und der geschützten Welt des öffentlichen Dienstes andererseits ist schon längst zum Problem geworden, welches den gesellschaftlichen Zusammenhang, die so notwendige Kohäsion nachhaltig gefährdet, weil gelebte Ungerechtigkeit nie eine Basis für einen gesamtgesellschaftlichen Konsens sein kann.

Es kann nicht sein, dass privilegierte öffentliche Funktionäre in Beamtenschaft und Politik ihre privilegierte und arbeitsplatzsichere Berufswelt dann noch mit einem System von luxuriösen Pensionen ihre Berufskarrieren krönen. Dass die bisherigen Vorschläge für Anpassungen zwischen öffentlichem und privatem Arbeits- und Pensionssektor bisher reine Absichtserklärungen geblieben sind, kommt einem wiederholten Einknicken der Politik vor der mächtigen Beamtengewerkschaft gleich.

Das ASVG - eine sozialpolitische Meisterleistung

Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) - kürzlich 60 Jahre geworden - ist eine sozialpolitische Meisterleistung, auf welche die österreichische Nachkriegspolitik stolz sein kann. Das ASVG kann für alle Menschen Leitschnur und Orientierung sein, es drückt auch die sozialpolitische Kraft der Gesellschaft aus, den Menschen Risiken, aber auch das würdige Altern zu finanzieren. In den ASVG-Wertgrenzen sind Eckpunkte sozialer Solidarität zu erblicken, und damit ist die Sozialpolitik eine zentrale Säule gelebter sozialer Marktwirtschaft, welche neben dem Wettbewerbssektor eben auch den sozialen Ausgleich sieht. Öffentlich finanzierte Privilegien sind in einem fairen Gesellschaftsvertrag nicht aufrechtzuerhalten und hätten schon lange abgebaut werden müssen. Es gehört zu den schweren Versäumnissen der Regierung Viktor Klima/Wolfgang Schüssel des Jahres 1998, hier nicht entschieden genug aufgeräumt und auch den öffentlichen Bereich vermehrt in die Wettbewerbswelt getragen zu haben.

Alles, was über den ASVG-Standard hinaus im öffentlichen Bereich an Altersversorgung geboten wird, ist eben Luxus, Versatzstück eines Obrigkeitsstaates von gestern, wo via privilegierter Pension lebenslanges Wohlverhalten, Identifikation und Ruhegeben erkauft wurde. Die Wirtschaftskammer beispielsweise hat das erkannt und ihre privilegierten Pensionssysteme auslaufen lassen.

Die Zögerlichkeit, mit welcher sich die Politik und auch die Beamtenschaft von ihrem luxuriösen Pensionsregime löst und via großzügigst bemessener Übergangsfristen die Veränderungen auf einen St.-Nimmerleins-Tag vertagt, ist verräterisch. Während der Normalbürger via wiederholte Pensionsreformen schon mehrfach empfindlich gekürzt und gegebener Versprechungen beraubt wurde, richten es sich der öffentliche Sektor und die Politik immer wieder auf Kosten der Allgemeinheit. Die Definition des Wortes Arbeitsteilung, derzufolge der private Bereich arbeitet und der öffentliche teilt, ist nicht nachhaltig.

Es ist der politischen Elite anzulasten, zwei Welten geschaffen zu haben: hier die geschützte Werkstatt des öffentlichen Bereiches, da die zunehmend rauer werdende Welt allgegenwärtigen Wettbewerbs. Anstatt die Integration beider Bereiche zu forcieren, zeigen Reflexe wie die rezente Pensionsdiskussion dass man im Gegenteil zur Vertiefung der Gräben tendiert. Gerechtigkeit schaut anders aus. Augustinus warnte schon vor 1600 Jahren vor einem "Staat, der auf die Stufe einer gut funktionierenden Räuberbande herabsinkt, weil er wie diese nur vom Funktionalen her bestimmt wäre und nicht von der Gerechtigkeit, die gut für uns alle ist".

Dass die ÖVP mit ihrem auch christdemokratisch gebotenen Bekenntnis zu Leistungsorientierung und Eigentum einen solchen Vorschlag der Enteignung überhaupt in Erwägung zog, macht betroffen. Dass eine SPÖ mit ihren manchmal unreifen wirtschafts- und sozialpolitischen Fantasien solches denkt, überrascht nur teilweise, aber auch die SPÖ verrät mit solchen Vorschlägen die große Masse der Werte schaffenden Menschen in ihren Reihen.

Ruhensbestimmungen - nur für bevorrechtete Ruhebezüge aus dem öffentlichen Sektor - die über dem jeweiligen Niveau der ASVG-Altersversorgung bemessen sind, wären wohl in Zeiten angespannter Finanzen, die - wie die Schweiz zeigt - ihrerseits wiederum das Ergebnis der Politik sind, eine solidarische Antwort, welche die Bevorrechteten in die Pflicht nimmt. Der großen Zahl an Leistungsträgern im privaten und öffentlichen Sektor aber ist auch im Lebensabschnitt nach dem Berufsleben eine freie Lebensgestaltung zu ermöglichen - ohne Vorschriften und Einengungen, wie eben die Ruhensbestimmungen.

Ein Lösungsvorschlag fürmehr Pensionsgerechtigkeit

Eine Lösung bietet sich an: Für Politiker und Beamte wird in Parallelrechnungen der fiktive ASVG-
Pensionsanspruch berechnet. Übersteigen die Arbeitseinkommen diesen Wert, kommt es in diesem Ausmaß zu einer vollen Kürzung der vom Steuerzahler finanzierten Pension. Das wäre Gerechtigkeit. Privilegien können konditioniert werden und werden nicht automatisch Anspruchsrecht. Seit Jahrzehnten wird ein Trend zur Risiko-Gesellschaft festgemacht, ein diesbezüglicher Gesellschaftsumbau ist beobachtbar. Das kann und darf vor dem Öffentlichen Sektor nicht Halt machen.

Dabei orientiert auch oft die verwendete Sprache mit ihrer Begriffswelt. Wenn die öffentliche Pension dann mit dem Begriff Ruhebezug umschrieben wird, ist man der unzweifelhaften Meinung, dass der Ruhebezügler Ruhe geben soll. Manche Minister sollen die Pensionierung ohne Rücksicht aufs Lebensalter ja gerne als Instrument der Personalführung (miss)braucht haben. Da verhandelte dann einfach nur der Gewinner mit einem Arbeitgeber, der sich eines Mitarbeiters entledigte, und einem Arbeitnehmer, dem die Pension winkte. Der zahlende Steuerzahler saß nicht mit am Tisch, seine Interessen waren nicht vertreten. Auch die Unsitte, dass nach wie vor zu groß bemessene Politikerpensionen als so etwas wie die Grundversorgung für einen späten Drang zum Geldverdienen gesehen werden, ist inakzeptabel und ist auch im internationalen Vergleich auffällig. In einer Zeit von Rechtsauslagerungen in Zweckgesellschaften und Personalleihverträgen haben sich hier kreative Modelle eingenistet, welche privilegierte öffentliche Pensionisten schützen, die Steuerzahler aber belasten.

Die Steuerzahler müssen präsenter werden in den Personalinstrumenten der öffentlichen Hand. Faire Arbeits- und Pensionsbedingungen sind ein unabdingbarer Schritt. Der zeitgemäße Politiker und öffentlich Bedienstete als Dienstleister am Bürger, das ist unverträglich mit Privilegien, die noch aus der Kaiserzeit stammen. Mehr Durchflutung zwischen privatem und öffentlichem Sektor ruft auch nach einem neuen Personal- und Organisationsrecht.

Die Politik hat sich zwar schon 1998 eine Reform der Luxus-Politiker-Pensionen verordnet, die Übergangsbestimmungen sind aber so groß, dass nach wie vor Politiker nach der alten Regelung in Pension gehen mit inakzeptabel niedrigen Beitragsdeckungen. Was fehlt, ist das Bewusstsein einer Bürgergesellschaft, in welcher Politiker und überhaupt öffentliche Funktionäre aller Art die bezahlten Hände (nicht Hirne!) der Bürger sind, wobei bei Bemessung der Bezahlung das Maß der Gerechtigkeit und der Fairness alleinige Richtschnur ist und nicht überstrapaziert werden darf.