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Die Rede Putins hat die Weltbörsen ins Plus getrieben, da fällt ein toter ukrainischer Soldat nicht ins Gewicht. Die führenden Politiker Europas werden zwar nicht müde zu erklären, dass sie die Annexion der Krim nicht akzeptieren werden, doch hinter diesem Satz steht nichts. Kerneuropa hat es sich bequem gemacht. Ein Wirtschaftsboykott Russlands würde Gas und Öl im Westen sprunghaft verteuern, der zarte Wirtschaftsaufschwung wäre dahin. Das zählt bei den hektischen Treffen in Brüssel ganz offenkundig mehr als der tote Soldat. Und die Investoren sind gerne bereit, Putins Satz zu glauben, dass er an der Ukraine (außer Krim) ohnehin kein Interesse habe. Nicht, weil der Satz wahr sein könnte, sondern weil er ihnen schöne Kursgewinne brachte.
Nun ist es zweifellos angebracht, in Zeiten der Krise pragmatisch zu bleiben. Aber Europa ist drauf und dran, den Pragmatismus zum führenden europäischen Wert zu machen. Der Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokraten, Martin Schulz, hat in Wien beim Wahlkampfauftakt für die EU-Wahl am 25. Mai eine brillante Rede gehalten. Er sprach viel von Werten, wofür Europa seiner Meinung nach einzustehen hat. Nicht die Banken, sondern die jungen Menschen Europas seien systemrelevant, lautete einer seiner Schlüsselsätze.
Sehr richtig. Wie aber geht die offizielle EU-Politik mit den jungen Menschen der Ukraine gerade um? Sie standen in Kiew am Maidan und schwenkten die europäische Fahne, weil ihnen ihr korruptes Regime jegliche Zukunftschance raubte.
Nun erzählt ihnen die EU, dass die lukrativen Verträge mit Gazprom letzten Endes doch wichtiger sind als die Grundrechte? Ein russischer Parlamentarier, der nun auf der namentlichen Sanktionsliste der EU steht, hat dies als "politischen Oscar" bezeichnet.
Auch wenn es natürlich auch ein Krieg der Worte ist, so ist doch klar, dass sich Russland seiner Sache sehr sicher ist. Am Ende ist es Europa wichtiger, innerhalb der EU-Grenzen den Wohlstand zu sichern. Östlich von Polen hört sich die Solidarität auf. Die Krim gehört Moskau.
Putin hat in einem recht: USA und EU sollen sich völkerrechtlich nicht als die Heilsbringer der Welt aufspielen. Er meinte es zwar anders, aber die wahre Begründung dazu liefert derzeit die EU - mit ihrem wertfreien Pragmatismus.