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Pragmatismus sollte Gefahr einer Spaltung erneut besiegen

Von Wolfgang Tucek

Analysen

Christdemokrat Leterme weiter mit Regierungsbildung beauftragt. | Die politische Landschaft Belgiens wurde zwar erschüttert, eine Trennung des Landes steht bis auf weiteres aber nicht im Raum. Der den Belgiern eigene Pragmatismus scheint mittelfristig auch bei den bisher längsten Regierungsverhandlungen in der Geschichte des Landes die unüberbrückbar scheinenden Gräben zwischen Flandern und Wallonien zudecken zu können.


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So hat König Albert II. den bei der Bildung einer neuen Regierung seit 151 Tagen erfolglosen flämischen Christdemokraten Yves Leterme gebeten, es weiter zu probieren. Der musste den König konsultieren, weil die flämischen Parteien gegen den Willen der wallonischen im belgischen Parlament die Teilung des einzigen zweisprachigen Wahlbezirks Brüssel-Halle-Vilvoorde durchsetzen wollten - ein Eklat. Dadurch wurde die traditionelle Konsenspolitik der Regionen in der gemeinsamen Volksvertretung gebrochen: Die Wallonen zogen unter höhnischen Kommentaren der flämischen Nationalisten vom Vlaams Belang von dannen. Die Vertreter des französischsprachigen Südens kochten.

Ironischerweise vereinfacht der Vorfall die weiteren Regierungsverhandlungen. Denn bei Entscheidungen gegen den Willen einer Volksgruppe sieht die belgische Verfassung eine Notbremse vor, welche die Wallonen umgehend gezogen haben. Sie wollen die Sonderrechte für die rund 120.000 Frankophonen in Halle-Vilvoorde wahren. In einer komplizierten Prozedur muss der "Interessenskonflikt" jetzt zwischen den Regionalparlamenten diskutiert werden, was bis zu einem Jahr dauern dürfte.

Am Ende kann noch das belgische Höchstgericht angerufen werden, um über die Rechtmäßigkeit der flämischen Entscheidung zu urteilen. Der Effekt: Das bisher die Koalitionsverhandlungen blockierende Element ist politisch vom Tisch. "Können sich die Politiker nicht einigen, müssen eben die Richter entscheiden", formulierte ein Insider das Prinzip.

Bleibt immer noch die Staatsreform als Zankapfel: Die Flamen wollen mehr Rechte für die Regionen, um die milliardenschweren Subventionen für den wirtschaftlich darnieder liegenden Süden reduzieren zu können. Während im Norden praktisch Vollbeschäftigung herrscht, verzeichnet Wallonien bis zu 20 Prozent Arbeitslosigkeit. Kenner der Politszene tippen darauf, dass sich eine hochrangige Expertengruppe mit dem Problem befassen werde. In Belgien sei es ähnlich wie in der EU, hieß es. Ohne Tricks sei beides nicht zusammenzuhalten.