Es ist die große Geste von Prahlern, weniger von Aufklärern, mit der die Protagonisten der Enthüllungsplattform Wikileaks ihren jüngsten Coup präsentieren: Schaut alle her, wir schaffen es, die mächtigste Nation am Nasenring durch die Medien-Arena zu führen!
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Dabei hinterlässt die Veröffentlichung teils geheimer, in ihrer Mehrheit jedoch banaler Dokumente aus dem US-Außenministerium einen schalen Beigeschmack. Sie ist - mehr noch als ein Beweis für die Macht Wikileaks - vor allem eine Demütigung für die Vereinigten Staaten, die nicht einmal mehr Herr über die eigenen Aktenordner zu sein scheinen.
Demokratiepolitisch sind die Enthüllungen über undiplomatische Charakterisierungen und Sticheleien ohne Wert. Im Gegenteil: Es wäre fatal, würden sich Diplomaten in ihren vertraulichen Berichten der gleichen nichtssagenden Floskeln bedienen, die sie öffentlich radebrechen.
Vor diesem Hintergrund erscheint auch der Zeitpunkt der Veröffentlichungen in einem problematischen Licht. Gegen den Australier Julian Assange, Gründer und Führungsfigur von Wikileaks, wird derzeit in Schweden wegen des Verdachts der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung ermittelt. Bei einem Politiker würde man sagen, er inszeniere ein Ablenkungsmanöver.
Assange & Co scheinen auch von einer bemerkenswerten anti-amerikanischen Schlagseite beseelt. Oder ist es nur risikoloser, sich mit der mächtigsten Demokratie anzulegen als etwa mit China, Russland oder dem Iran? Alles Länder, die wohl mindestens so spannende Geheimdokumente in ihren Aktenschränken hamstern, aber vielleicht etwas ungehaltener auf Whistleblower reagieren.
Tatsächlich brisant sind Wikileaks Dokumente ausschließlich im Hinblick auf den Iran-Konflikt, legen sie doch offen, wie groß die Furcht vor dem totalitären theokratischen Regime im Namen Allahs unter den islamischen Staaten der Region ist. Dass das Regime in Teheran keine Freunde hat, konnte allerdings auch vorher schon wissen, wer sich dafür wirklich interessierte. Ein konstruktiver Beitrag zur Stabilisierung dieser höchst instabilen Weltgegend sieht anders aus als dieser Coup von Wikileaks. Das war allerdings auch nicht im Sinne der Betreiber.