Weshalb das starke Geschlecht im Fall von Spinnen recht schwach sein kann. | Berlin. Seit Charles Darwin seine Evolutionstheorie vorgestellt hat, plagen Biologen sich mit den Spinnen herum: Bei manchen Arten sind die Männchen ähnlich groß wie die Weibchen, während das angeblich starke Geschlecht bei anderen Arten zum Teil sogar dramatisch kleiner und schwächer ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 14 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Weshalb die Natur manche Männchen so klein hält, dafür hatten Evolutionsforscher bisher keine Erklärung. Die liefern jetzt Guadelupe Corcobado am Institut für funktionelle und evolutive Ökologie im spanischen Almería und ihre Kollegen im Fachblatt BMC Evolutionary Biology: Die kleinen Männchen kommen beim anderen Geschlecht öfter zum Zug, weil sie mit einem typischen Spinnentrick beweglicher sind als größere Rivalen.
Dimorphismus
Biologen nennen diese oft deutlichen Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern "Geschlechtsdimorphismus". Genaue Beobachtung zeigt oft rasch einen triftigen Grund für solche Unterschiede. So wählen die Weibchen mancher Arten sehr sorgfältig, welcher Partner die besten Eigenschaften für den eigenen Nachwuchs mitbringt.
Körperliche Stärke gehört zum Beispiel bei See-Elefanten unbedingt dazu, und so kämpfen die Bullen heftig um das bei diesen Tieren wirklich schwache Geschlecht. Der Sieger erhält dann gleich einen ganzen Harem, den er aber immer wieder gegen Nebenbuhler verteidigen muss. Ein erfolgreicher Bulle sollte also möglichst kräftig und damit auch groß sein. Im Laufe der Generationen hatten immer die größten Männchen die Nase vorn, heute sind sie rund viermal größer als die Weibchen.
Manchmal stellen Männchen auch eigentlich unnötigen Luxus zur Schau. Damit zeigen sie potenziellen Partnerinnen, wie viel Energie sie übrig haben. Ein Hirsch zeigt diesen Luxus als großes Geweih, ein Pfau als buntes und großes Rad und viele Vögel als farbenprächtiges Federkleid oder aufwendigen Gesang.
Ganz anders sieht es bei Watvögeln, vielen Insekten und Spinnen aus: Da sind oft die Weibchen größer. Auch dafür gibt es eine gute Erklärung. Stärkere Weibchen können mehr Energie in ihre Nachkommen stecken und zum Beispiel mehr Eier legen oder mehr Nachwuchs groß bekommen. Damit erklären Evolutionsbiologen zwar hervorragend die Größe der Weibchen. Weshalb Männchen aber klein bleiben, ist damit aber immer noch ein Rätsel.
Versuche im Windkanal
Um diese Frage zu klären, haben Guadelupe Corcobado und ihre Kollegen das Verhalten von 204 Weibchen und Männchen von 13 verschiedenen Spinnenarten in einem Windkanal untersucht. Den Forschern war aufgefallen, dass viele Arten mit sehr kleinen Männchen in der Vegetation leben und sich dort teilweise mit Hilfe von selbst gebauten Brücken fortbewegen. Diesen Brückenbau demonstrierten die Spinnen dann auch im Windkanal: Sie lassen einen Spinnenfaden so gezielt vom Wind tragen, dass er zum Beispiel an einem Grashalm hängenbleibt, den sie ohne diese Kletterhilfe nur viel umständlicher erreichen könnten. Kopfüber hängen sie sich dann an diese einfache Hängebrücke und hangeln sich ans Ziel.
Die Windkanal-Experimente zeigen ganz deutlich, dass vor allem kleinere und damit leichtere Tiere solche Drahtseil-Kunststücke zur Fortbewegung nutzen, die Biologen als "Bridging" bezeichnen. Sind bei einer Spinnenart die Männchen viel kleiner als ihre Partnerinnen, hangeln sie sich auch öfter durch die Vegetation. Damit sind sie aber auch viel beweglicher - und kommen besser und schneller zu einer Partnerin als schwergewichtige Männchen. Damit ist aber auch die Triebkraft für diesen Geschlechtsdimorphismus klar: Je zierlicher die Männchen sind, umso besser gelingt die Hochseilartistik.
Die guten Akrobaten können so auch mehr Weibchen besuchen und haben mehr Nachwuchs. Manchmal führt also das genaue Gegenteil der puren Kraftmeierei nach See-Elefanten-Vorbild besser zum Ziel - auch wenn beide Typen natürlich auf ihre jeweils eigene Weise "Machos" sind.