Reykjavik/Kopenhagen · Mit Luxusproblemen können sich die Isländer vor der Neuwahl ihres Parlamentes "Althing" am Samstag beschäftigen. Anders als mancher altersschwache Geysir steht die | boomende Wirtschaft der Atlantikinsel vor einer Explosion durch Überhitzung. Anhaltende Erfolge beim Fischfang haben den rund 270.000 Isländern ein so hohes Wirtschaftswachstum beschert, daß der laut | Umfragen wahrscheinlich im Amt verbleibende konservative Ministerpräsident David Oddsson (51) kräftig auf die Konjunkturbremse treten dürfte. Oddsson führt seit 1995 eine Koalition seiner | Unabhängigkeitspartei mit der liberalen Fortschrittspartei.
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Prall gefüllte Fischernetze und gute Preise auf dem Weltmarkt haben den Wikinger-Nachfahren seit 1995 eine Steigerung des Wohlstandes gebracht, von dem man anderswo in Europa nur träumen kann. Die
Privateinkommen kletterten in den letzten vier Jahren um 20 Prozent, das Bruttonationalprodukt um jährlich fünf Prozent und der Konsum allein 1998 um zehn Prozent. Die einseitige Abhängigkeit des
Landes von der Fischerei wird beklagt. Kommen die Herings- und Kabeljau-Schwärme in den Atlantik, geht es gut, bleiben sie aus, geht es Island schlecht. Daran haben weder Globalisierung noch EU und
schon gar nicht alle Anstrengungen der Regierung zur Ansiedlung neuer Branchen auf der Insel etwas geändert. 75 Prozent aller Exporteinnahmen kommen weiter aus der Fischereibranche.
Wie stark diese Abhängigkeit weiter ist, zeigt auch die in diesen Wochen neu entflammte Diskussion um eine Wiederaufnahme des Walfangs nach zehn Jahren Pause. Als sich das "Althing" im Frühjahr
erstmals für Walfang trotz des weiter geltenden weltweiten Fangverbotes aussprach, warnte Oddsson vor negativen Folgen für den Tourismus, vor allem aber für die Fischerei durch Boykottaktionen in
Ländern wie den USA und Deutschland.
Ob Island von seinem wirtschaftlichen Alleingang in Richtung EU-Mitgliedschaft umrüstet, gilt in Reykjavik als eines der "heimlichen" Themen in diesem Wahlkampf. Bis vor kurzem waren sich Wähler und
Politiker einig, daß man wegen der Fischereirechte rund um die Insel in jedem Fall draußen bleiben müsse. Die Angst vor einer Invasion spanischer Fischtrawler wird nun aber mehr und mehr abgelöst von
der Sorge, die Einführung des Euro könne dem Land existenzgefährdende Nachteile bringen. Erstmals gab es nach dem Jahreswechsel bei Umfragen Mehrheiten für einen Beitritt zur EU. Im Wahlkampf aber
ist das Thema tabu, nachdem die Sozialdemokraten 1995 mit ihrem "Ja" zur Mitgliedschaft haushoch verloren hatten.
Als einziges der 19 NATO-Mitgliedsstaaten stellt Island keine Truppen, sondern lediglich sein Territorium zur Verfügung. Die NATO-Aktion gegen Jugoslawien stößt auf der kleinen Atlantik-Insel ·
anders als in anderen nordeuropäischen Staaten · auf ungeteilte Zustimmung. "Island hat die NATO-Aktion von Anfang an unterstützt, weil wir keine Alternative sehen", sagt Oddsson.
Die linke Opposition von Sozialistischer Volksallianz, Sozialdemokraten und der feministischen Frauenallianz tritt am Samstag erstmals als Wahlbündnis an. Umfragen sagen dem Bündnis 27 bis 30 Prozent
der Stimmen voraus, was nicht reichen dürfte, um die Regierung abzulösen, die im "Althing" 40 der 63 Mandate hält.