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Prämien gleich, Risiken ungleich

Von Karl Leban

Wirtschaft
Frauen und Männer in Zukunft auch bei Versicherungsprämien gleichgestellt. Foto: fotolia

Assekuranz muss Frauen und Männer gleich behandeln. | Branche warnt: Bei Neuverträgen wird es nun für alle teurer werden. | Luxemburg/Wien. Frauen und Männer müssen künftig auch bei Versicherungsprämien gleich behandelt werden. Bis spätestens 21. Dezember 2012 muss die Versicherungsbranche ihre Tarifstruktur auf einheitliche Preise umstellen, die unabhängig vom Geschlecht der Kunden sind. Dies hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag in Luxemburg entschieden. Bei Neuverträgen werde es nun für alle teurer werden, weil der Geschlechtermix als neues Risiko in die Kalkulation einfließen müsse, warnen große europäische Versicherer. Vor allem von der EU-Kommission und von Konsumentenschützern kommt hingegen Applaus.


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Die Versicherer sind damit alles andere als glücklich. Unterschiedliche Prämien für Frauen und Männer zu untersagen, gefährde "Grundlagen des Versicherungsgeschäfts", sagt Manfred Baumgartl vom österreichischen Versicherungsverband. "Es geht nicht um die Gleichbehandlung von Mann und Frau, es geht um Risikogerechtigkeit und damit um die Aufrechterhaltung des Systems."

Auch Günter Geyer, Chef der Vienna Insurance Group ("Wiener Städtische"), steht dem Urteil ablehnend gegenüber: "Die Risiko-Orientierung fällt jetzt weg. Frauen werden nun einmal älter als Männer."

Der "kleine Unterschied"

Geschlechtsspezifische Prämien darf es in Zukunft allerdings keine mehr geben. Europaweit erlaubt sind nur noch Unisex-Tarife. Bisher war es so, dass Frauen, weil sie statistisch gesehen eine um einige Jahre höhere Lebenserwartung als Männer haben, in der Lebens- und Krankenversicherung mehr Prämien bezahlen mussten. Männer hingegen, weil sie im Regelfall gefährlicher leben als Frauen, mussten bis dato in der Unfall- und Autoversicherung tiefer in die Tasche greifen.

Die Relevanz von statistischen Daten und versicherungsmathematischen Prinzipien werde jetzt freilich in Frage gestellt, so Baumgartl, der im Hauptjob Vorstand der Allianz Österreich ist. Künftig würden sich derzeitige "schlechte Risiken" verbilligen und "gute Risiken" verteuern. Um Kunden aber auch weiterhin individuelle Lösungen anbieten zu können, sei es notwendig, gleiches Risiko gleich zu behandeln. Baumgartl: "Äpfel bleiben Äpfel - Versicherung funktioniert nur nach mathematischen Prinzipien, nicht nach ideologischen."

Geschlechtsneutral

Nichtsdestotrotz sehen die höchsten EU-Richter das Geschlecht als "Risikofaktor" in der Versicherungswirtschaft als unzulässige Diskriminierung an. Sie verweisen dabei auf die EU-Gleichstellungsrichtlinie von 2004, die geschlechtsneutrale Tarife schon ab 2007 verlangt. Dass bisher Ausnahmen erlaubt waren (wenn das Geschlecht ein "bestimmender Risikofaktor" ist und dies durch versicherungsmathematische und statistische Daten untermauert werden kann), "läuft der Verwirklichung des Ziels der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zuwider", erklärt der Europäische Gerichtshof (EuGH). Zuvor hatte ein belgisches Gericht die EU-Höchstrichter um Prüfung der Ausnahmeklauseln gebeten.

Dass diese gekippt würden, war bereits im vergangenen September absehbar. Damals hielt die EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott in ihrem Schlussantrag fest, dass die in der EU-Richtlinie ermöglichte Differenzierung den Gleichheitsgrundsatz im EU-Vertrag verletze. Sie forderte daher das Aus für unterschiedliche Versicherungsbeiträge bei Frauen und Männern.

Ihr Argument: Statistisch nachweisbare Divergenzen beim Lebensalter und dem "Schadensprofil" seien weniger auf den "kleinen Unterschied", sondern vielmehr auf kulturelle, wirtschaftliche oder soziale Gegebenheiten wie die Berufstätigkeit, die Ernährung oder das Umfeld zurückzuführen. Lediglich statistisch zu Tage tretende Versicherungsrisiken könnten keine Unterschiede bei Leistungen und Prämien rechtfertigen, so Kokotts Fazit.