Washington · Ruhig und energisch, aber ohne jeden kriegerischen Unterton hat US-Präsident Bill Clinton die Amerikaner auf das Schlimmste vorbereitet: Schon bald könnte die NATO mit ihrer | geballten militärischen Macht gegen die Serben vorgehen müssen. Auch amerikanische Piloten liefen dann Gefahr, von einer gut gerüsteten serbischen Luftabwehr abgeschossen zu werden.
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"Ich glaube nicht, daß erst noch Tausende mehr abgeschlachtet und auf offenen Fußballfeldern begraben werden müssen, bevor wir etwas tun." Mit diesen dramatischen Worten wandte sich Clinton an
seine Landsleute und auch an den Kongreß.
Am Wochenende der neuen serbischen Offensive im Kosovo setzte sich in Washington die ernüchternde Einschätzung durch, daß nach allem Hin und Her nun der Punkt erreicht sein dürfte, der
Gewaltanwendung unausweichlich macht. "Ich glaube, wir werden sehr bald damit beginnen, Bomben zu werfen", meinte der demokratische Senator Joseph Biden aus Delaware. Zuvor hatte der Präsident
Dutzende Vertreter des Kongresses über den Ernst der Lage aufgeklärt. "Amerikaner werden getötet werden", sagte Bidens republikanischer Kollege Robert Benett aus Utah, "sie werden dabei in einem
Krieg umkommen, den der Kongreß nicht erklärt hat."
Die Weltmacht hat zugesagt, 260 der etwa 430 Flugzeuge zu stellen, die bei NATO-Luftangriffen gegen die Serben eingesetzt werden sollen. Darunter sind ein Dutzend Tarnkappen-Kampfflugzeuge vom Typ F-
117 und sieben mit Marschflugkörpern bestückte B-52-Bomber. Obwohl noch ohne Kampferfahrung, könnten auch zwei B-2-Tarnkappenbomber starten. Erst am Freitag hatte Pentagon-Chef William Cohen auch
sieben Flugzeuge in die Region zurückbeordert, die zwischenzeitlich abgezogen worden waren. Dazu gehören EA-6B-Flugzeuge, die feindliches Radar stören.
Zu der Entschlossenheit nach außen gesellt sich allerdings eine nur widerstrebende Vorbereitung auf den Kampf. Eigentlich wolle er nicht einem einzigen amerikanischen Piloten den Startbefehl geben,
räumte Clinton ein. "Ich will auch nicht, daß sonst jemand auf dem Balkan stirbt. Ich will keinen Konflikt." Während es die Regierung in Washington sorgfältig vermied, über einen Zeitplan für
Luftangriffe zu sprechen, ließ der Oberbefehlshaber aller US-Truppen auch offen, was denn letztlich den Beginn einer Angriffskampagne auslösen würde.
Clinton stellte sicher, daß er das gesamte kritische Wochenende über die jeweils letzten Informationen über den Krisenherd Kosovo erhielt. Am Vortag hatte er sich bereits ausführlich mit wichtigen
außenpolitischen Beratern über die Pläne gebeugt, in denen es um den Zeitpunkt von verschiedenen Angriffswellen und um deren Ziele ging.
Der Kongreß will aber noch ein Wort mitreden. Der Senat soll am Montag über einen republikanischen Antrag debattieren, kein Geld für Luftangriffe zu bewilligen, wenn der Militärschlag nicht zuvor vom
Parlament gutgeheißen wird.
Es gab jedoch Anzeichen, daß der Kongreß sich bei aller Kritik am Präsidenten im Ernstfall wieder hinter das Weiße Haus stellt. Sobald amerikanische Soldaten kämpfen, ist deren Wohl und Wehe
entscheidender als nationales Politgezänk.
Wie es im Kosovo weitergehen kann, hat aber auch noch einen diplomatischen Aspekt. Am Dienstag nimmt der russische Ministerpräsident Jewgeni Primakow Gespräche in Washington auf, die wegen der
Bindung zwischen Belgrad und Moskau den Kosovo-Konflikt ins Zentrum rücken.