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Paris · Nur wenige Stunden vor dem 1.000. Tag seiner Amtszeit am Sonntag hat Frankreichs sozialistischer Premierminister Lionel Jospin das Fiasko ereilt. Es war eine Reise nach Jerusalem, | die das positive Image des erfolgsverwöhnten politischen Musterknaben lädierte.
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Vor den Augen der Weltöffentlichkeit musste er sich von Leibwächtern vor Steinwürfen protestierender Palästinenser schützen lassen, die anschließend sein Auto demolierten. "Noch nie ist ein
französischer Premierminister so im Ausland behandelt worden", empörte sich ein Kolumnist an der Seine.
Glattes Parkett
Jospin ist bei seiner gerade beendeten Israel-Reise so heftig auf dem glatten internationalen Parkett ausgerutscht, dass sich selbst wohl gesonnene politische Beobachter besorgt zu Wort meldeten.
Ausgerechnet im Pulverfass des Nahen Ostens hatte er sich · bewusst oder unbewusst, darüber rätseln die Beobachter noch · in Widerspruch zur offiziellen Politik seines Landes gesetzt. Als
"terroristisch" hatte er zunächst die Angriffe der Hisbollah in Südlibanon gegen israelische Soldaten gewertet · und damit heftige Proteste im arabischen Lager wie auch in der Heimat
heraufbeschworen. Zwar relativierte er später seine Worte, doch da war es schon zu spät.
Nach einhelliger Meinung hat Jospin mit diesem Eingriff in eine traditionell dem französischen Präsidenten vorbehaltene Domäne · die Außenpolitik · rund zwei Jahre vor der Präsidentschaftswahl in
Frankreich vorzeitig den Wahlkampf eingeläutet. Jospin, dem ebenso wie dem konservativen Amtsinhaber Jacques Chirac Ambitionen für eine Kandidatur nachgesagt werden, bot seinem Widersacher Chirac
dabei eine Angriffsfläche, die dieser dankbar ergriff.
Wie einen Schulbuben
Wie einen Schulbuben, der bei einem Streich erwischt worden sei, habe er Jospin zu sich einbestellt, urteilte die sonst eher den Sozialisten nahe stehende "Liberation". Zwar blieb Jospin
unbeeindruckt, so dass Chirac ihm telefonisch die Leviten las, doch der Imageschaden ist unübersehbar.
Der missratene Emanzipationsversuch Jospins in der Außenpolitik wird allgemein als Wendepunkt in der bisherigen Kohabitation · dem Zusammenwirken von Staats-und Regierungschef aus unterschiedlichen
politischen Lagern · gewertet. Jospin, der bisher innenpolitisch auf Grund unbestreitbarer Erfolge sowie auch günstiger konjunktureller Rahmenbedingungen auf einer Woge der Sympathie schwamm, will
sich auch außenpolitisch bemerkbar machen. Doch er hat gezeigt, dass auch er fehlbar ist. Genüsslich reiben ihm politische Gegner nun seine Äußerungen unter die Nase, die er erst vor wenigen Tagen
gemacht hat: dass die Sozialisten auch in der Außenpolitik besser sein könnten, wenn der politische Rahmen anders aussehe.
Gandenlose Medien
Von einer unerhörten Entgleisung, einer Unverantwortlichkeit und Provokation ist stattdessen nun in französischen Medien die Rede. Schon stellen sich erste Kommentatoren besorgt die Frage, ob
Jospins unglücklicher Auftritt nicht nur seinem eigenen Image, sondern auch dem Frankreichs Schaden zugefügt habe. Sie sehen die diplomatische Glaubwürdigkeit des Landes auf dem Spiel, das in der
zweiten Jahreshälfte turnusmäßig die EU-Präsidentschaft übernehmen wird.