Bei den Präsidentenwahlen in Kroatien wird es doch eine zweite Runde geben. Der amtierende Präsident Stipe Mesic hat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit um einen Prozentpunkt verfehlt. Am 16. Jänner muss er sich daher in einer Stichwahl gegen die zweitplatzierte Jadranka Kosor von der konservativen HDZ-Partei von Premierminister Ivo Sanader behaupten.
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Unerwartet spannend verlief in Zagreb die Wahlnacht von Sonntag auf Montag. Zunächst deuteten die exit polls auf mehr als 50 Prozent für den von einer breiten links-liberalen Koalition unterstützten Mesic hin - und auf eine vernichtende Niederlage der HDZ-Frau Kosor. Es schien, als würde Kosor hinter dem Millionär Boris Miksic erst Platz drei belegen. Als die Zagreber Wahlkommission knapp nach Mitternacht die ersten offiziellen Ergebnisse veröffentlichte, gab es im Kosor-Hauptquartier endlich das große Aufatmen: doch keine Absolute für Mesic, er erhielt 48,9 Prozent der Stimmen, und doch ein zweiter Platz für Kosor mit 20,3 Prozent der Stimmen.
Kosor geht zur Offensive über
Gegen ein Uhr morgens trafen die beiden Bestplatzierten zu einer gemeinsamen Stellungnahme im Gebäude des Kroatischen Fernsehens ein. Kosor attackierte Mesic in der Folge frontal: Er solle endlich mit seinen Untergriffen aufhören, und außerdem habe er während des jugoslawischen Bürgerkriegs "Kroatien nicht verteidigt". Das brachte wiederum den bislang eher erheiterten Mesic zur Weißglut: "Ja glauben Sie denn, ich habe Sansibar verteidigt, als ich mich in Belgrad für die Interessen Kroatiens einsetzte und um die Aufhebung der Blockade von Dubrovnik kämpfte?"
Für Zagreber Kommentatoren war der kurze Wortwechsel ein deutliches Zeichen: Die kommenden zwei Wochen bis zur Stichwahl werden heiß. Das umso mehr, als der Ausgang der Wahl plötzlich offener scheint denn je. Jene fast 18 Prozent der Stimmen, die der drittplatzierte Millionär Miksic bekommen hatte, könnten in der zweiten Runde zu einem Großteil auf Kosor übergehen. Nicht ausgeschlossen ist, dass Kosor Miksic gar zu einer direkten Unterstützungserklärung überreden kann. "Ich werde mit ihm noch heute einen Kaffee trinken gehen", kündigte die HDZ-Frau ganz offen informelle Gespräche an.
Überdies ist bei einer Wahlbeteiligung von 50,9 Prozent klar, dass beide Lager, sowohl jenes von Mesic als auch jenes von Kosor, ihr Stimmenpotential noch nicht völlig ausgeschöpft haben. Wem das bis zur Stichwahl besser gelingt, der könnte daher am Ende als Sieger dastehen.
Nationales Engagement . . .
Für Kosor bedeutet die Notwendigkeit, nun auch die Kernschichten ihrer konservativen Wählerschaft mobilisieren zu müssen, dass sie Mesic noch stärker als bisher sein mangelndes nationales Engagement vorwerfen wird. Dass die Strategie aufgehen kann, zeigt das Wahlergebnis unter den Auslandskroaten, vor allem jenen in Bosnien und Herzogovina: Dort hat Kosor, die sich als "zukünftige Präsidentin aller Kroaten" bezeichnet, eine absolute Mehrheit von fast 60 Prozent erreicht.
Das Werben um die Stimmen der Miksic-Wähler ist allerdings eine Gratwanderung. Während sich die HDZ-Kandidatin im Wahlkampf bisher bewusst mit nationalistischen Parolen zurückgehalten hatte, ließ der Unabhängige an der Einschlägigkeit seiner Zielgruppe keine Zweifel: Kroatien sei die "Geisel" des UNO-Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, hatte er moniert. Und der vom Tribunal gesuchte General Ante Gotovina würde "in Kroatien frei spazieren gehen", hatte Miksic für den Fall seiner Wahl zum Präsidenten versprochen.
. . . gegen europäische Zukunft
Im Gegensatz dazu wird Mesic, der den bosnischen Kroaten schon vor Jahren den Rat gab, mehr nach Sarajevo als nach Zagreb zu schauen, wohl verstärkt betonen, dass nur er eine Garantie biete, dass Kroatien nicht in einen Nationalismus zurückfällt, der den EU-Beitritt gefährden könnte. In diese Richtung ging jedenfalls sein Kommentar, als bekannt wurde, dass eine Stichwahl ansteht: "Jetzt müssen die Wähler entscheiden, ob sie wollen, dass Kroatien in das 21. Jahrhundert schreitet oder zurück in die Vergangenheit."
Profitieren wird Mesic aber auch davon können, dass er von der Mehrheit der Kroaten als ein parteiunabhängiger Kandidat betrachtet wird. Das überraschend gute Abschneiden des parteipolitisch völlig ungebundenen Millionärs Miksic hat es nämlich sehr deutlich gemacht: von konventioneller Parteienpolitik haben die Kroaten derzeit die Nase voll. Das schrieben gestern nicht nur Zagreber Zeitungen, das bestätigt auch der Politikwissenschafter Davor Gjenero: "Der Erfolg von Miksic ist eine kräftige Ohrfeige für unsere Parteien. Und ein Warnsignal. Denn auf Dauer kann eine Demokratie ohne Parteien, die das Vertrauen der Bürger haben, nicht funktionieren".