Während der Wahlkampf in Frankreich nach der Mordserie ruht, bleibt die Frage legitim: Ist dieser Präsident der richtige Mann an der Staatsspitze?
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Zu den unbestrittensten Qualitäten des französischen Präsidenten zählt zweifelsohne jene, dass man Nicolas Sarkozy nicht einschätzen kann. Diese "Fähigkeit" wird von seinen Anhängern geschätzt, seine politischen Gegner stört sie, nicht wenige Franzosen wissen damit allerdings nichts anzufangen.
Während der Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich wegen der Mordserie in Toulouse und Montauban ruht und Sarkozy sich als zutiefst betroffener Staatsmann präsentiert, bleibt die Frage weiterhin legitim: Ist dieser Präsident in einer schweren Zeit, wie sie Frankreich gerade erlebt, der richtige Mann an der Spitze der "Grande Nation", oder ist sein politischer Wankelmut nicht eher eine Gefahr für Frankreich und die EU?
Als Sarkozy im Mai 2007 mit einer Mehrheit von mehr als 53 Prozent die Wahl gegen seine sozialistische Gegnerin Ségolène Royal gewann, konnte er die Herausforderungen, die in den nächsten fünf Jahren auf ihn zukommen würden, kaum erahnen. Schon während seiner Zeit als Innenminister hatte er jedenfalls Härte bewiesen, als er 2005 die "Aufständischen" in den Vororten zahlreicher französischer Städte zur Rechenschaft zog. Wer aber auf sozialpolitische Maßnahmen während der Präsidentschaft Sarkozys hoffte, blieb allenfalls enttäuscht. Mit der Abschiebung tausender Roma, die der Präsident im Sommer 2010 verlautbarte, wurde das Sicherheitsproblem Frankreichs jedenfalls nicht gelöst, und es kam zu einem Konflikt mit der Europäischen Kommission.
An Stolz, französische Interessen nach außen zu vertreten, mangelt es dem Mann an der Spitze der UMP, einer Partei, die sich zu den Idealen des Gaullismus bekennt, gewiss nicht. Von den Visionen eines Charles de Gaulle könnte Sarkozy allerdings kaum weiter entfernt sein. Hatte der General sich vehement gegen den Führungsanspruch und Interventionismus der USA in Lateinamerika und Europa ausgesprochen, so könnte man Sarkozy vorwerfen, die politischen Interessen Frankreichs an Nordamerika verkauft zu haben. Die stärkere Einbindung Frankreichs in die Nato ist ein lebender Beweis für die Verbundenheit von Paris mit Washington, die sich in Frankreichs Beteiligung an Militäreinsätzen in Afghanistan, im Irak und zuletzt in Libyen widerspiegelt.
Wie glaubwürdig erscheint vor diesem Hintergrund also ein Mann, der einen Beitritt der Türkei in die EU, wie er von den USA noch vor dem türkisch-israelischen Konflikt stark befürwortet wurde, ablehnt und sich plötzlich für die Schließung der Grenzen im Schengen-Raum ausspricht? Oder ein Präsident, der dem tunesischen Machthaber Zine Ben Ali noch in Freundschaft verbunden war, bevor die Arabische Revolution das Blatt wendete? Ganz zu schweigen vom Skandal um die angebliche Wahlkampffinanzierung durch Libyens Muammar Gaddafi.
Die Ohnmacht, die die Franzosen nach dem Blutbad mit sieben Toten ergriffen hat und die Nation in Angst und Trauer versetzt, mag der gesunkenen Popularität Sarkozys zwar kurzweiligen Aufschwung geben - doch wird das für einen zweiten Wahlsieg ausreichen?