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Ein kompliziertes Wahlsystem könnte bei der Bestimmung des nächsten estnischen Staatsoberhaupts für Überraschungen sorgen.
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Edgar Savisaar fühlt sich zu jung. Vor wenigen Monaten erst ist der estnische Politiker 61 Jahre alt geworden. Für ihn ist das nach Eigenangaben - noch - kein Alter, um Staatspräsident zu werden. Vielleicht ist das einer der Gründe, dass die Zentrumspartei einen anderen Bewerber um das Amt unterstützt. Die größte Oppositionspartei, deren Vorsitzender Savisaar ist, setzt auf den formell unabhängigen Kandidaten Indrek Tarand.
Wenn das Parlament in Tallinn am Montag ein Staatsoberhaupt für die kommenden fünf Jahre wählt, ist dennoch die Kür eines anderen Mannes wahrscheinlicher. Amtsinhaber Toomas Hendrik Ilves gilt als Favorit. Immerhin kann er auf die Stimmen der beiden regierenden Fraktionen zählen, der konservativen Reformpartei von Premier Andrus Ansip und des national-liberalen Bündnisses von Verteidigungsminister Mart Laar. Auch hat er die Unterstützung seiner eigenen ehemaligen Partei, der Sozialdemokraten. So wird es wohl für Ilves kein großes Problem sein, bei dem Votum die erforderlichen zwei Drittel der 101 Abgeordneten auf seine Seite zu bringen.
Jedoch: So wie es sich im Vorfeld abzeichnet, läuft es bei den Präsidentenwahlen in Estland dann doch nicht immer ab. Die vorangegangene Kür vor fünf Jahren hat erst im vierten Anlauf geklappt, was auch dem komplizierten Wahlsystem geschuldet war. 2006 hat der damalige Amtsinhaber Arnold Rüütel als Favorit gegolten. Doch aus wahltaktischen Gründen haben die Rüütel unterstützenden Fraktionen eine Entscheidung bei den drei im Parlament möglichen Wahlgängen blockiert. So erhielt weder Gegenkandidatin Ene Ergma die nötigen Stimmen noch der dritte Bewerber, Toomas Hendrik Ilves.
Danach wurde, wie von der Verfassung vorgesehen, ein Kollegium einberufen, das sich aus den Parlamentsabgeordneten und 246 eigens von den Gemeinden entsandten Wahlleuten zusammensetzt. Die Ausgangslage schien klar: Rüütel hatte die besseren Chancen. Doch die Wahl gewann - Ilves.
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Dass die Abstimmung im Parlament mit Hilfe einer Wahlurne und nicht elektronisch erfolgte, war eher unüblich für das Land. Denn nicht von ungefähr kommen die Versuche, sich als "E-stonia" zu profilieren. Gewählt werden kann per Internet, und so gut wie alle Steuererklärungen werden ebenfalls auf diesem Weg abgegeben. In dem Land mit seinen knapp 1,4 Millionen Einwohnern, wo der Internet-Telefondienst Skype erfunden wurde, sind seit mehr als zehn Jahren alle Schulen ans Netz angeschlossen. Der Zugang zum World Wide Web ist sogar per Verfassung garantiert.
So möchte sich Estland nicht zuletzt als Elektronikstandort positionieren. Für - auch ausländische - Investoren ist die kleine Baltenrepublik, seit Jänner Mitglied der Euro-Zone, durchaus interessant. Während andere europäische Länder von Ratingagenturen herabgestuft werden, bekommt Estland bei der Bewertung seiner Kreditwürdigkeit immer bessere Noten. Die Ratingagentur Fitch hat in einem vor kurzem erschienenen Report die baltischen Staaten als leuchtende Beispiele für andere gepriesen.
Denn das Sparpaket der Regierung mit Steuererhöhungen und Kürzungen von Beamtengehältern brachte schon Erfolge, was allerdings mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote im Vorjahr auf fast 17 Prozent einherging. Im zweiten Quartal wuchs die estnische Wirtschaft im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 8,4 Prozent. Derzeit gibt es nur vier Euro-Länder, die die Vorgabe erfüllen, dass das Budgetdefizit drei Prozent des BIP nicht überschreiten darf - und Estland ist dabei.