Assad-Gegner vollziehen mit Gesprächsangebot Kehrtwende.
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Damaskus/Wien. Binnen eines Monats vollzog Ahmed Moaz al-Khatib seine Kehrtwende: "Wir werden nicht nach Moskau gehen", lehnte der Chef von Syriens wichtigstem Oppositionsblock, der Syrischen Nationalen Koalition, noch Ende Dezember ein Gesprächsangebot von Russland ab - dem traditionell engsten europäischen Verbündeten von Machthaber Bashar al-Assad. Doch bei der Münchner Sicherheitskonferenz traf Khatib am vergangenen Wochenende nicht nur Vertreter Russlands, sondern auch des Iran, der Assads Regime mittlerweile offen stützt.
Sogar ein öffentliches Dialogangebot liegt nun auf dem Verhandlungstisch: "Im Interesse des Volkes" sei die Opposition bereit, der Regierung zu einem friedlichen Abzug zu verhelfen, ließ Khatib im Interview mit dem TV-Sender Al-Jazeera aufhorchen. Denn: "Unser Volk ist dabei zu sterben, und das werden wir nicht zulassen." Rund 60.000 Tote forderte der seit fast zwei Jahren andauernde Bürgerkrieg bisher. Rebellen und Armee befinden sich in einer Pattsituation. Militärisch kann der Gegner nicht besiegt werden, also intensiviert man wieder die Bemühungen auf dem diplomatischen Parkett.
Einen Tabubruch begeht dabei Khatib. Bislang galt der Abtritt von Machthaber Assad als Voraussetzung für Gespräche. Diese Variante ist derzeit kein Thema, vielmehr wünscht sich die Opposition als Gesprächspartner den amtierenden Vizepräsidenten Faruk Al-Schara. Nicht ohne Zufall: Schara hatte sich bereits im Dezember vergangenen Jahres öffentlich für Verhandlungen ausgesprochen - und stand damit völlig konträr zur offiziellen Regierungs- und Propagandalinie, die die Aufständischen als "Terroristen" bezeichnet und jeglichen Kompromiss mit ihnen ausschließt.
Abgrenzung zu Islamisten
Während sich Assad scheinbar mit aller Kraft und letzter Konsequenz an die Macht klammert, scheint ein Treffen zwischen Khatib und Schara tatsächlich erfolgversprechender. Der 52-jährige Khatib war Prediger in der 705 n. Chr. fertiggestellten Damaszener Umayyaden-Moschee - einem der ältestens Gotteshäuser der Welt - und genießt alleine daher hohes Ansehen. Als Sunnit vertritt er dieselbe Glaubensrichtung wie 75 Prozent der Einwohner; im Gegensatz zu Assad, dessen Alawiten, eine gnostische Sekte des Islam, lediglich zwölf Prozent der Syrer angehören.
Khatib begrüßt jedoch nicht den Einsatz radikal-sunnitischer Kämpfer an der Seite der Opposition. "Wir fordern Frieden für Sunniten, Alawiten, Schiiten, Christen, Drusen und Assyrer sowie Rechte für das gesamte syrische Volk", sagte er anlässlich seiner Wahl zum Chef der Opposition. Einstimmig wurde er im November in diese Rolle gewählt, denn der Sohn einer angesehenen Damaszener Familie - bereits sein Vater predigte in der Umayyaden-Moschee - hatte frühzeitig das Assad-Regime kritisiert und eine politische Lösung gefordert. "Großmaul Imam" wurde Khatib von offizieller Seite genannt, mehrmals wurde er inhaftiert und ging im Sommer 2012 ins Exil nach Kairo.
Politisches Urgestein
Wie Khatib gehört auch Vizepräsident Faruk Al-Schara der sunnitischen Mehrheit an. Der 73-Jährige zählt seit Jahrzehnten zu den Stützen von Assads Machtapparat: Bereits unter Bashars Vater Hafez al-Assad diente er als Außenminister ab 1984 und hatte den Posten bis zum Jahr 2006 inne, bis er zum Stellvertreter des jungen Assad ernannt wurde. Als Chefdiplomat verhandelte Schara mindestens zwei Mal mit Israel über eine Verbesserung der Beziehungen - erfolglos, noch heute befinden sich beide Staaten offiziell im Kriegszustand.
Schara ist also schwierige Verhandlungsaufgaben gewohnt und verfügt über die notwendige Prise Pragmatismus, um mit angeblichen "Todfeinden" des Regimes eine Lösung zu suchen. Doch auch wenn sich Beobachter des Konflikts einig sind, dass Assads Regime letztlich fällt: Absetzbewegungen sind von seinem Vize nicht bekannt. Im Gegensatz dazu setzte sich Cousin Jarob al-Scharaa, Chef einer Einheit des politischen Geheimdienstes, im Sommer 2012 nach Jordanien ab.
Vorerst wird das Dialogangebot von Syriens regimetreuen Medien abgeschmettert. "Um zwei Jahre zu spät", kommentierte die Zeitung "Al-Watan". Wesentlich wichtiger ist allerdings, ob Khatib für seinen Vorstoß die uneingeschränkte Zustimmung innerhalb der Opposition genießt - oder seine Bemühungen als Verrat im Kampf gegen Assad aufgefasst werden.
Abseits der Anstrengungen um Friedensgespräche dauern die Kämpfe in Syrien mit unverminderter Härte an. Oppositionelle Menschenrechtsaktivisten kritisierten am Dienstag die Tötung von Assad-treuen durch islamistische Rebellen. Die Männer wurden angeblich vor Scharia-Gerichten abgeurteilt und im Anschluss ermordet.