40 Prozent kennen reale Inflation nicht. | Gefühl schwankt oft mit Benzinpreis. | Konsument wählt günstigere Schiene. | Wien. "Es ist ein Wahnsinn, wie teuer alles geworden ist" - das ist nicht selten Gesprächsthema all jener, die an einer Supermarkt-Kassa in der Schlange stehen. Tatsächlich nimmt die Bevölkerung aber eine höhere Inflation als die reale wahr, wie aus einer aktuellen Studie der Oesterreichischen Nationalbank hervorgeht.
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Gleichzeitig wissen 40 Prozent nicht, wie hoch die Inflation - derzeit 1,9 Prozent - eigentlich ist. Eine Imas-Umfrage ergab indessen, dass sich zwei Drittel vor einer Geldabwertung fürchten.
"Die Schere der gefühlten und realen Preissteigerung klafft seit Beginn der Krise immer weiter auseinander", meint Josef Baumgartner vom Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung dazu. Den deutschen Statistiker Wolfgang Brachinger, der 2005 einen "Index der wahrgenommenen Inflation" entwickelt hat, verwundert diese Erkenntnis wenig. Führt er doch seit Jahren diesbezügliche Studien in Deutschland und der Schweiz durch und kam zu dem Schluss, dass die durchschnittliche Differenz zwischen gefühlter und tatsächlicher Inflation 1,9 Prozent beträgt.
"Die Ursachen dafür sind sicherlich auf Österreich übertragbar", betont er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Denn einerseits werde die empfundene Inflation hauptsächlich an Lebensmitteln und Benzin bemessen, wobei Erstere lediglich 12,23 Prozent des Warenkorb-Inhaltes ausmachen. Kraft- und Schmierstoffe für private Verkehrsmittel sind mit nur 3,66 Prozent vertreten. Andererseits werde jede Preissteigerung stets intensiver als eine -senkung empfunden.
"Gerade Benzin ist in Österreich in den letzten Jahren um 20 Prozent teurer geworden", ergänzt Baumgartner, "die Inflation ist allerdings konstant niedrig. Im Vorjahr wurde mit 0,5 Prozent im Jahresdurchschnitt sogar ein Rekordtief seit 1953 erreicht." Die Preise für Nahrungsmittel stiegen 2009 um 0,1 Prozent. "Extrem billig sind hingegen Produkte der Unterhaltungselektronik geworden", betont Baumgartner, "diese werden aber seltener gekauft und fallen für den Konsumenten daher nicht so ins Gewicht."
Doch selbst die tatsächliche Inflation des für den täglichen Einkauf repräsentativen Mikrowarenkorbs betrug im Vorjahr nur minus 0,2 Prozent, 2008 waren es allerdings 6,1 Prozent. In diesem ist Brot genauso wie Tiefkühlpizza vertreten - sein Inhalt macht vier Prozent des eigentlichen Korbs aus, der 800 Güter und Dienstleistungen eines repräsentativen Haushaltes beinhaltet.
Schilling fest verankert
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den zwei Körben ist jedoch, dass die Produkte aus Ersterem vorwiegend bar bezahlt werden. Der verhältnismäßig billige, neue Flachbildfernseher oder die Handyrechnung, die nicht täglich fällig ist, werden mit Plastikgeld oder direkt vom Konto bezahlt. Laut Experten mit ein Grund, warum die Ausgaben dafür nicht so bewusst wahrgenommen werden.
"Viele rechnen auch noch immer in Schilling um", so Baumgartner, "seit der Einführung des Euros sind jedoch acht Jahre vergangen." Euro-Preise von heute mit Schilling-Preisen von damals zu vergleichen, mache daher wenig Sinn. Tut man es doch, müsse man unter Berücksichtigung der Inflation nicht einen Euro in rund 13,76, sondern 11,4 Schilling umrechnen.
Obwohl auch in Zukunft mit keinem deutlichen Anstieg der Inflation zu rechnen sei, hat die Angst davor bereits aufs Konsumverhalten abgefärbt. "Europaweit wird eine günstigere Schiene gewählt", sagt Baumgartner, "in Deutschland boomen bereits die Diskonter."
Die innerhalb der Bevölkerung wachsende Furcht löst mitunter Existenzängste bis hin zu Depressionen aus. "Das Hoffnungspotenzial der Bevölkerung fährt seit Beginn der Krise in die negative Richtung", berichtet die Wiener Psychotherapeutin Helga Schmutz. Unabhängig vom Alter trauen sich viele nicht mehr, sich wieder einmal etwas Teures zu gönnen, "weil sie nicht wissen, was die Zukunft bringt." Gleichzeitig befürchten sie, sich Miete oder Essen einfach nicht mehr leisten zu können.