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"Preisdruck bringt Kleinbauern um"

Von Sophia Freynschlag

Politik

Fair gehandelte Baumwolle soll Erfolg von Fairtrade-Bananen wiederholen.


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Wien. Gedankenlos zugreifen oder nach dem grün-blauen Logo Ausschau halten? Der Verbraucher hat mittlerweile die Wahl. Wie der Kauf von Fairtrade-Produkten das Leben von Familien verbessert und wieso die Umstellung bei Textilien schwierig ist, erzählt Harriet Lamb, Geschäftsführerin von Fairtrade International. Sie war zum 20-Jahr-Jubiläum von Fairtrade Österreich in Wien.

"Wiener Zeitung": Der Start von Fairtrade in Österreich vor 20 Jahren war schwierig. Was hat Fairtrade in diesen Jahren erreicht?Harriet Lamb: Zweifler glaubten zu Beginn, dass Fairtrade winzig bleiben wird, weil sich die Menschen nicht für fairen Handel interessieren. Heute kann man überall in Wien und in Europa Fairtrade-Bananen im Supermarkt kaufen. 30 Prozent der in Österreich verkauften Rosen sind fair gehandelt. Fairtrade hat bewiesen, dass es Menschen gibt, die etwas verändern und die Welt zu einem besseren Ort machen wollen. Als wir starteten, stand Nachhaltigkeit nicht auf der Agenda. Die Agenda und die öffentliche Wahrnehmung haben sich komplett verändert.

Was können Konsumenten bewegen, wenn sie fair gehandelte Produkte kaufen?

Wer ein Produkt mit dem Fairtrade-Siegel kauft, kann sicher sein, dass es von organisierten Kleinbetrieben und Arbeitern stammt, denen ein fairer Preis gezahlt wird: Zum Mindestpreis kommt ein Fairtrade-Zuschlag. Die Bauern entscheiden demokratisch, wofür diese Prämie verwendet wird - ob für sauberes Trinkwasser, eine Schule, Elektrizität oder für eine neue Maschine, um die Produktivität zu erhöhen.

Eine Gruppe von Zuckerbauern in Malawi hatte im Dorf keinen Zugang zu Wasser. Sie mussten zwei Kilometer zu Fuß zu einem Fluss gehen. Das Wasser dort war verunreinigt, viele Kinder wurden krank. Mit der Prämie wurden Brunnen gebohrt und Wasserleitungen gebaut. Das ist nur ein Beispiel von tausenden, wie der Kauf von Fairtrade-Produkten das Leben von Bauern und deren Familien verbessern kann. Es geht bei Fairtrade nicht um Wohltätigkeit, sondern um Würde. Mit einem fairen Preis können Bauern ihre Waren in Würde verkaufen.

Es wird immer wieder kritisiert, dass zu wenig vom Verkaufspreis an die Landwirte geht.

Landwirte bekommen einen zu kleinen Teil des Endpreises, den Profit machen jene entlang der Wertschöpfungskette. Kakaobauern erhalten drei bis sechs Prozent des Preises, den der Konsument für einen Schokoriegel zahlt. Fairtrade garantiert, dass die Landwirte einen fairen Preis bekommen, der ihre Produktionskosten deckt und mit dem sie investieren können. So können sie mit dem Verkauf ihrer Produkte den Weg aus der Armut finden. Die Weltmarktpreise sind volatil, das macht das Kalkulieren sehr schwer. Ein Mindestpreis gibt den Landwirten Sicherheit.

Während in Österreich bereits 20 Prozent der verkauften Bananen fair gehandelt sind, findet man kaum Textilien mit Fairtrade-Siegel. Woran liegt das?

Die Baumwollbauern verdienen extrem wenig, und die Konsumenten erwarten, dass Kleidung günstig ist. So entstehen Tragödien wie der Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch. Niedrige Preise sind nur möglich, wenn der Rohstofflieferant und die Arbeiter in der Textilfabrik wenig verdienen. Farmer in Afrika haben einen Wettbewerbsnachteil, weil die EU und die USA ihren Baumwollbauern Subventionen zahlen. Fairtrade will die Einkommenssituation der Landwirte verbessern. Einige - auch österreichische - Firmen gehen mit gutem Beispiel voran. Wir möchten mehr Unternehmen dazu bringen, Fairtrade-Baumwolle zu verarbeiten, und Konsumenten müssen nach diesen Textilien verlangen. Ich halte eine Erfolgsgeschichte wie bei Fairtrade-Bananen für möglich, denn das Potenzial ist enorm: Die Anzahl der Baumwollbauern ist höher als jene von Kaffee- und Kakaobauern zusammen.

Bekommen Konzerne zu viel Einfluss auf die Kriterien, wenn sie ihre Produkte zertifizieren lassen?

Wir haben eine Leitlinie: Welche ist die richtige Entscheidung für Bauern und Arbeiter? Standards wie das Verbot von bestimmten Chemikalien sind nicht verhandelbar. Andere Standards passen wir an - mit Rücksicht auf die Fairness. Ziel ist, dass Firmen unsere Prinzipien übernehmen.

Wo sehen Sie die künftigen Herausforderungen für Fairtrade?

Die größte Herausforderung ist der unerbittliche Preisdruck der reichen Länder, der die bäuerlichen Kleinbetriebe umbringt. Wir müssen diesen Trend umkehren. Wächst der Fairtrade-Absatz, können wir mehr als die derzeit 1,2 Millionen Bauern erreichen. Als neues Produkt ist faires Gold geplant. Außerdem sollen Fairtrade-Produkte in aufstrebenden Ländern wie Brasilien und Indien erhältlich sein, wo wir schon mit Bauern kooperieren. Der Fairtrade-Marktanteil von 30 Prozent, den wir bei Rosen in Österreich schon haben, ist die Messlatte für alle Produkte. Da beginnt Fairtrade, wirklich Einfluss zu haben.

Zur Person



Harriet Lamb

ist seit 2012 Geschäftsführerin von Fairtrade International. Ihre Karriere bei Fairtrade begann die gebürtige Engländerin als "Banana Coordinator", 2001 übernahm sie die Geschäftsführung der Fairtrade Foundation UK.