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Prekarisierung und ihre Folgen

Von Simon Rosner

Politik

Demografische Alterung ist nicht die größte Herausforderung für den Sozialstaat, sondern atypische Beschäftigung.


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Wien. Österreichs Sozialquote wächst, langsam aber doch, in Richtung 30 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Noch liegt man minimal unter dem Durchschnitt der EU-28, wobei die nord- und westeuropäischen Länder eine tendenziell höhere Sozialquote aufweisen, wie aus dem aktuellen Sozialbericht des Sozialministeriums hervorgeht.

Interessant ist vor allem das angenommene Szenario für die kommenden 15 Jahre, das der Bericht zeichnet. Die demografische Entwicklung bedingt prinzipiell eine Erhöhung der Ausgaben, da die Pro-Kopf-Ausgaben älterer Personen (Pensionen, Gesundheit) deutlich höher sind. Allerdings altert die Gesellschaft doch schon einige Jahre, so ist seit 1995 der Anteil der Über-65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung um drei Prozentpunkte gestiegen. Und dennoch ist im gleichen Zeitraum die Sozialquote meistens gesunken, bis sie sich durch die Krise wieder nach oben drehte.

Anstieg der Sozialquote

Dass sie sich nicht parallel mit der demografischen Genese entwickelt hat, hat zwei Gründe. Erstens gab es zahlreiche politische Maßnahmen, zum Beispiel Pensionskürzungen, die den Effekt der alterungsbedingten erhöhten Aufwendungen kompensiert haben, zum anderen war die Konjunktur sehr günstig. Steigt das BIP mehr als die Sozialausgaben, sinkt dadurch logischerweise die Quote.

Das ist nun anders. Seit zwei Jahren gibt es kaum noch Wirtschaftswachstum und die Prognosen sind nicht sehr optimistisch. Dennoch rechnet das Sozialministerium damit, dass die demografisch bedingten Herausforderungen bewältigbar sind. Auf Basis der langjährigen Entwicklung der Pro-Kopf-Ausgaben für Über-65-Jährige errechnete Studienautor Hans Steiner vom Sozialministerium die alterungsbedingten Zusatzkosten, sie belaufen sich auf 0,4 Prozent vom BIP.

Doch es gibt freilich noch andere Herausforderungen für das Sozialsystem. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist eine solche. Bei einem angenommenen durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von einem Prozent bis 2030 ergibt sich, je nach Zusatzausgaben, eine Bandbreite der Sozialquote zwischen 33,4 und 36,3 Prozent, bei besseren Konjunkturdaten entsprechend darunter. Zum Vergleich: Dänemark hat im Jahr 2013 bereits eine Sozialquote von 34,3 Prozent.

Wesentlicher als deren Höhe ist aber ihre Finanzierung. "Eine Quote ist kein politisches Ziel, sondern dessen ein Nebeneffekt", sagt Ökonomin Christine Mayrhuber vom Wifo, das Teile des Sozialberichts erstellt hat, darunter auch eine Analyse der Einkommen. Diese Analyse weist auf eine sehr grundlegende Problematik hin: Die zunehmende Prekarisierung führt dazu, dass bei unteren Einkommensschichten Sozialleistungen zunehmend an Bedeutung gewinnen, gleichzeitig untergräbt diese Entwicklung deren Finanzierung. Mayrhuber sagt: "Diese Finanzierung des Sozialstaats braucht mittel- und langfristig eine strukturelle Neuausrichtung."

Ungleiche Einkommen

Dass die Steuern auf Arbeit in Österreich sehr hoch, vermutlich auch zu hoch sind, ist mittlerweile politischer common sense. Gleichzeitig steigt die Zahl jener Personen, die so wenig verdienen, dass sie keine Lohn- oder Einkommensteuer zahlen. "Die Zunahme der atypischen Einkommensverhältnisse sollte uns Sorgen
bereiten", sagt Mayrhuber. So ist das Beschäftigungsplus in den vergangenen Jahren vor allem auf Teilzeitstellen zurückzuführen gewesen. "Da die Finanzierung der Sozialleistungen sehr stark auf der Besteuerung der Erwerbseinkommen beruht, muss man sich da was Neues einfallen lassen."

Es ist vor allem der wachsende Niedriglohnsektor, der zu einer steigenden Ungleichverteilung der Löhne geführt hat. Dem Sozialminister Rudolf Hundstorfer kommen diese Ergebnisse freilich gerade recht für die Verhandlungen zur Steuerreform. "Es muss irgendwo bei vermögensbezogenen Steuern was geben", sagte er im Ö1-Interview. Wo genau dieses Irgendwo liegt, werden dann die Verhandlungen zeigen, eine strukturelle Neuausrichtung der Finanzierung des Sozialstaats ist allerdings nicht zu erwarten.

Was dieser, unter anderem, leistet, zeigt sich aber auch in Zeiten der Flaute. Seit Ausbruch der Krise sind Armut und Armutsgefährdung gesunken.