Zum Hauptinhalt springen

Premier kapituliert - Staatskrise in Belgien

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Regierung scheitert nach nur vier Monaten. | Wird Reynders neuer Premier? | Brüssel. Deja-vus scheinen in der belgischen Politik die Regel zu sein: Nach nur vier Monaten scheiterte die Regierung von Premier Yves Leterme. Zum dritten Mal innerhalb von 13 Monaten musste der flämische Christdemokrat den Weg zu König Albert II. antreten, weil nichts mehr geht. Von den Wahlen Anfang Juni 2007 brauchte er bis April 2008, um überhaupt eine Koalition zusammenzubringen. Zweimal hatte er dazwischen schon kapituliert und deshalb bei Albert II. vorgesprochen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der Grund ist stets derselbe: Die Flamen, die im Norden des Landes wohnen und deren Wirtschaft brummt, wollen mehr Kompetenzen für die Regionen und selbst bestimmen, was sie mit ihrem Geld machen. Die französischsprachigen Wallonen im Süden, die wirtschaftlich daniederliegen, verhindern die angestrebte Staatsreform. Sie fürchten vor allem um die bis zu zehn Milliarden Euro Transferleistungen pro Jahr, ohne die das Sozialsystem in der Wallonie wohl kollabieren würde. Denn während im Norden Vollbeschäftigung herrscht, sind im Süden um die zwanzig Prozent ohne Job. Von der Blütephase des Bergbaus und der Schwerindustrie zeugen nur noch die Ruinen der Förder- und Produktionsanlagen.

Das zweite Kernproblem ist ein für Außenstehende nur schwer verständlicher Streit um den einzigen gemischtsprachigen Wahl- und Gerichtsbezirk in dem ansonsten strikt entlang der Sprachgrenzen geteilten Land - Brüssel-Halle-Vilvoorde. In den Umlandgemeinden der Hauptstadt dürfen die frankophonen Einwohner nämlich trotz flämischer Bevölkerungsmehrheit die wallonischen Parteien wählen und auf Französisch Amtswege erledigen. Die Flamen wollen das abstellen.

Denn anders als in anderen europäischen Ländern gibt es für jede politische Richtung jeweils zwei Parteien, eine für den flämischen Norden und eine für den französischsprachigen Süden. Und die politischen Gruppierungen vertreten in erster Linie die Interessen ihres Landesteils und nicht die gemeinsamen politischen Grundziele mit der Schwesterpartei im anderen Landesteil.

Vor diesem Hintergrund hatte Leterme versucht, seine Fünf-Parteien-Koalition auf eine Staatsreform einzuschwören. Doch die Christdemokraten beider Landesteile, die Liberalen von beiden Seiten und die wallonischen Sozialisten kamen auf keinen grünen Zweig.

Als Ausweg könnte nun der Chef der frankophonen Liberalen, Vizepremier Didier Reynders, vom König mit der Weiterführung der Regierungsgeschäfte oder der Bildung einer neuen Koalition beauftragt werden. Dass es zu Neuwahlen kommen wird, gilt als eher unwahrscheinlich.