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Premier mit vielen Problemen

Von Evangelista Sie

Politik

Kein Regierungschef hat bisher die fünfjährige Amtszeit durchgestanden. Shehbaz Sharif steht vor großen Aufgaben.


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Mit den Worten revolutionärer Urdu-Dichter beginnt er meist seine Ansprachen, so auch seine Antrittsrede als neuer Premierminister Pakistans: Shehbaz Sharif zitierte nach seiner Wahl Anfang April den zeitgenössischen Kolumnisten und Dichter aus Pakistan, Ata ul Haq Qasmi: "Man muss sich freimachen von allen Schranken und Begehrlichkeiten." Für Shehbaz Sharif gilt es nun, das 220 Millionen Einwohner zählende südasiatische Land zu führen. Hürden gibt es genug.

In seiner Rede bezeichnete der 70-jährige Regierungschef die wirtschaftlichen Probleme Pakistans als größte Herausforderung des Landes. Tatsächlich hatte die schlechte Wirtschaftslage, verschärft durch die Corona-Pandemie, Sharifs Vorgänger, den ehemaligen Kricketstar Imran Khan, das Amt gekostet.

Dazu waren Khans Missmanagement und verheerende Außenpolitik gekommen, wie ihm die Opposition vorwarf, sowie Kontroversen mit dem mächtigen Militär Pakistans. Die Armee hat in dem 75-jährigen Bestehen des Landes bereits drei zivile Regierungen gestürzt und die Hälfte der Zeit Pakistan selbst regiert. Sie kontrolliert zudem die Außen- und Verteidigungspolitik der Atommacht.

Im Vorjahr soll ein Streit Khans mit Armeechef Qamar Javed Bajwa über die Ernennung des nächsten Geheimdienstvorsitzenden zum Bruch zwischen Premier und Militär geführt haben. Die Armee zog daraufhin ihre Unterstützung zurück. So ging Khan als erster Premiers Pakistans, der durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde, in die Geschichte ein. Im Gegensatz dazu gilt der prowestliche Sharif in seiner Beziehung zum Militär als flexibler Verhandlungspartner und fähig, selbst mit seinen Kontrahenten Kompromisse zu schließen.

Dabei ist Wirtschaft gemäß Analysten nicht einmal Sharifs Hauptproblem. Seine zentralen Herausforderungen liegen im Innenpolitischen. Denn Sharifs bisherige Oppositionspartei, die konservative Pakistan Muslim League (Muslimliga), scheint nichts mit der Mitte-links-Partei Pakistan People’s Party (Volkspartei), geschweige denn mit Imran Khans zentristischer Pakistan Tehreek-e-Insaf zu vereinen. Khans erklärtes Ziel als Ministerpräsident war es, den Einfluss von Muslimliga und Volkspartei aufzubrechen, die sich lange an der Macht abgewechselt hatten. Sharif jedoch braucht zumindest eine der beiden großen Oppositionsparteien als Koalitionspartner, um mit einer Mehrheit im Parlament regieren zu können.

"Shehbaz Sharif ist ein Konsenspremierminister von Parteien, die politisch und wirtschaftlich gegensätzlich sind", erklärt Mariam Mufti, Professorin für Politikwissenschaften an der Universität Waterloo in Kanada. Das 33-köpfige Kabinett, das Sharif nun aus mehreren Parteien um sich versammelt hat, besteht aus Gegnern Khans. Zusätzlich dürfte es in den kommenden zwei Monaten Nachwahlen für die rund hundert Parlamentssitze geben, da die Abgeordneten von Khans Partei nach dessen Sturz aus Protest zurückgetreten sind. Insofern könnte für Pakistans neuen Premier der innenpolitische Gegenwind rau werden - und dass, obwohl er kein politisches Leichtgewicht ist.

Shehbaz Sharif stammt aus einer in Pakistan bekannten Polit-Dynastie. Sein älterer Bruder, der dreimalige Premierminister Nawaz Sharif, galt als bisher mächtigster Politiker des Landes. Shehbaz Sharif selbst diente drei Amtszeiten, zwischen 1990 und 2017, als Regierungschef von Punjab, der Machtbasis der Sharif-Familie.

"Shehbaz Sharif war, wie bereits sein Bruder Nawaz Sharif in dessen Regierung von 2013 bis 2018, ausschlaggebend für den Start von Infrastrukturprojekten in dem sogenannten China-Pakistan Economic Corridor", sagt Mariam Mufti. Eine direkte Verbindung zwischen dem pakistanischen Hafen Gwadar und der chinesischen Stadt Kashgar soll hierbei geschaffen und die Transportdistanz für Öl aus dem Nahen Osten von 12.000 auf unter 2.400 Kilometer verringert werden. Mehr als 60 Milliarden Dollar investiert China in die Energie- und Transportinfrastruktur Pakistans.

60 Milliarden Dollar aus China brachten wenig

Für China bedeutet das einen dominanten Einfluss in Pakistan, erklärte Werner Fasslabend, ehemaliger Verteidigungsminister Österreichs und Präsident des Wiener Thinktanks "Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik" (AIES), der Austria Presse Agentur. Für Pakistan brachten die großen Investitionen Chinas jedoch nicht die erhofften Arbeitsplätze. Daher wird Sharifs Bilanz in Punjab kritisch gesehen und als Symbolpolitik bezeichnet. Und wie sein Bruder Nawaz wurde Shehbaz Sharif immer wieder mit Bestechungs- und Korruptionsaffären in Verbindung gebracht.

Konflikte prägen Pakistans Beziehungen zu seinen Nachbarländern. Südwestlich grenzt der Iran an, der sich als Schutzmacht der schiitischen Muslime versteht. Anschläge der sunnitischen Dschihadisten-Miliz Islamischer Staat, der pakistanischen Taliban und anderer sunnitischer Extremisten auf schiitische Muslime und chinesische Infrastrukturprojekte belasten das Verhältnis zwischen Pakistan und dem Iran.

Der Blick an die Westgrenze Pakistans nach Afghanistan zeigt: Die seit Jahren guten Beziehungen zwischen Pakistan und den Taliban haben sich seit der Machtübernahme der radikal-islamischen Gruppierung vergangenen August verschlechtert. An der 2.600 Kilometer langen Grenze kam es bereits zu mehreren Zwischenfällen und Unruhen, auch zu Angriffen militanter Gruppen in Pakistan. "Man wird mit den Taliban verhandeln müssen, wie man mit diesen militanten Gruppen umgeht. Das ist aber schwer, denn die Taliban selbst haben keine starke Regierung", schätzt Christian Wagner, Politik- und
Sozialwissenschafter an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, die Sicherheitslage ein.

Im Osten gilt die Beziehung der rivalisierenden Atommächte Pakistan und Indien nach wie vor als angespannt. Seit der Unabhängigkeit des früheren Britisch-Indiens und der Trennung in Indien und Pakistan im Jahr 1947 gibt es Auseinandersetzungen um die Herrschaft über die Himalaja-Region Kaschmir. Neu-Delhi wirft Islamabad vor, Terroristen im indischen Teil der Kaschmir-Region zu unterstützen. Pakistan bestreitet dies. Die zwei Länder führten bereits mehrere Kriege gegeneinander.

Bessere Beziehungen zu Indien gewünscht

Ohne den Zuspruch des Militärs könnte Shehbaz Sharif an den von ihm angestrebten Verbesserungen der Beziehungen scheitern - wie bereits sein älterer Bruder zuvor. "Als Nawaz Sharif 2014 kurz davorstand, die Friedensgespräche mit Indien zu beginnen, war Imran Khans Opposition gegenüber der Pakistan Muslim League am größten. Viele Beobachter schlussfolgerten, dass das Militär dahintersteckte, dass es versuchte, Nawaz Sharifs Regierung zu destabilisieren, als er mit den Friedensgesprächen mit Indien begann", sagt Mufti. Immer wieder werden Generäle beschuldigt, hinter den Kulissen die Fäden zu ziehen, um zivile Regierungen zu beeinflussen oder zu destabilisieren.

Inwieweit Shehbaz Sharif in Pakistans außenpolitischen Beziehungen zu seinen Nachbarländern eine starke Stimme sein wird, bleibt daher fraglich. Zudem ist sich selbst dessen Partei uneinig darüber, ob Sharif nun als aktiver oder zurückhaltender Premierminister agieren soll.

Die nächsten regulären Parlamentswahlen stehen im kommenden Jahr an. Auch die Regionalparteien könnten dann Sharif gefährlich werden, sagt SWP-Forscher Wagner. "Das musste auch Premierminister Imran Khan erfahren. Es gab auch in den Provinzen eine Reihe von politischen Auseinandersetzungen, die zum Verlust seiner Mehrheit beigetragen haben." Sharifs Mehrheit ist dünn. Ob er sich länger als Pakistans bisherige Premierminister im Amt hält, bleibt abzuwarten. Immerhin hat er Noorul Amin überholt. Er war mit 13 Tagen kürzestdienender Premier.