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Erneut standen Journalisten und Bürgerrechtler vor Gericht, die Prozesse wurden jedoch vertagt.
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Istanbul. Mit den Journalisten und Bürgerrechtlern Can Dündar, Erdem Gül, Erol Önderoglu und Sebnem Korur Fincanci standen zentrale Figuren im Konflikt um die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei am Mittwoch vor Gericht. Beide Rechtsfälle hatten großes internationales Aufsehen erregt; zahlreiche Beobachter aus dem Ausland waren angereist.
Im ersten Verfahren ging es um die wichtigste journalistische Enthüllung der vergangenen Jahre in der Türkei. Die linke Zeitung "Cumhuriyet" hatte im Mai 2015 über einen Waffentransport des Geheimdienstes MIT an mutmaßliche syrische Islamisten berichtet. Der damalige Minister- und heutige Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan drohte dem Chefredakteur Can Dündar anschließend, er werde "einen hohen Preis" für die Veröffentlichung bezahlen. Der Prozess war von einem Verfahren abgetrennt worden, bei dem Dündar und der Ankara-Büroleiter der Zeitung, Erdem Gül, im Mai in derselben Sache wegen angeblicher Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen bereits zu fünf und fast sechs Jahren Haft verurteilt worden waren. Beide haben dagegen Berufung eingelegt. Ebenfalls angeklagt ist der Abgeordnete der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP, Enis Berberoglu.
Can Dündar lebt inzwischen im Exil in Deutschland. Für ihn und Erdem Gül forderte der Staatsanwalt je zehn Jahre Haft, für Berberoglu lebenslänglich, wegen "wissentlicher und absichtlicher Unterstützung einer Terrororganisation, ohne deren Mitglied zu sein" - gemeint ist die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, den die Regierung für den Putschversuch vom Juli verantwortlich macht. Berberoglu habe sich als mutmaßlicher "Cumhuriyet"-Informant zudem der Weitergabe von Staatsgeheimnissen schuldig gemacht.
"Sie haben nicht den Hauch eines Beweises für die absurden Vorwürfe, und es ist absolut lächerlich, uns mit Gülen in Verbindung zu bringen", sagte Enis Berberoglu dieser Zeitung anschließend im Gericht. Der Richter habe sogar auf eine weitere Beweisaufnahme verzichten wollen, offenbar, um schnell fertig zu werden. "Unsere Anwälte haben aber darauf bestanden, Zeugen zu hören, was sie nicht ablehnen konnten." Berberoglu glaubt, dass es dem Gericht nur darum gehe, den heiklen Fall auf die höheren Gerichte abzuwälzen. "Am Ende wird eine politische Entscheidung stehen."
"Es gibt keine unabhängige Justiz mehr in der Türkei"
Kaum hatte sich das Gericht vertagt, wurde auch der benachbarte Verhandlungssaal schon geräumt. Mehr als 80 Zuschauer hatten sich auf die 30 Sitze des kleinen Raums gequetscht, in dem ein Prozess gegen zwei bedeutende Bürgerrechtler fortgesetzt wurde: die durch ihre Folterstudien bekannte Vorsitzende der Türkischen Menschenrechtsstiftung, Sebnem Korur Fincanci, und Erol Önderoglu, der langjährige Türkei-Korrespondent der internationalen Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen.
Sie sind angeklagt, "Terrorpropaganda" für die verbotene kurdische Partei PKK gemacht zu haben. Ihnen drohen jeweils mehr als 14 Jahre Gefängnis, wie auch den beiden nicht anwesenden Mitangeklagten, dem "Cumhuriyet"-Kolumnisten Ahmet Nesin und Inan Kizilkaya, dem früheren Chefredakteur der linken, prokurdischen Zeitung "Özgür Gündem".
Fincanci, Önderoglu und Nesin hatten sich im Frühjahr an einer Solidaritätsaktion für "Özgür Gündem" beteiligt, bei der dutzende Journalisten und Prominente für je einen Tag die Redaktion der Zeitung übernahmen. Im Nachgang wurden zahlreiche Beteiligte verhaftet und angeklagt. Fincanci und Önderoglu wurden im Juni festgenommen, nach internationalen Protesten aber unter Auflagen freigelassen. Im Oktober wurde "Özgür Gündem" verboten. Während Ahmet Nesin sich zuvor nach Deutschland absetzte, ist der Chefredakteur Kizilkaya seit August inhaftiert, als einer von mehr als 140 Journalisten im Land.
Die Beschuldigten selbst sehen sich als prominente Opfer einer riesigen Prozesslawine gegen hunderte Regimekritiker unter den Bedingungen des Ausnahmezustands. "Es gibt keine unabhängige Justiz mehr in der Türkei", erklärte Öneroglu. "Die Regierung hat sich gegen eine gesellschaftliche Versöhnung entschieden, die wir so dringend bräuchten. Wir werden trotzdem weitermachen."
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