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Priester statt Braumeister

Von Veronika Eschbacher

Reflexionen

Ein Oberbayer im Herzen Wiens: Pater Dominic ist einer von vier Brüdern im Augustinerkloster, wohin es ihn - nach Kindheitstagen in Libyen und Uruguay - 1988 verschlagen hat.


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Zu Beginn habe es schon immer wieder gekracht, sagt der Herr mit den dunkelbraunen Haaren im schwarzen Habit, dem Ordensgewand, leicht verschmitzt. "Ich bin Bayer, also sage ich, was ich mir denke, und meine, was ich sage. Und ich hab’ halt lernen müssen, dass das in Wien nicht so geschätzt ist". Der Beginn, das war im Jahr 1988. Mittlerweile hat sich Pater Dominic, einer von vier Brüdern des Augustinerklosters im ersten Wiener Gemeindebezirk, aber eingelebt.

Pater Dominic im Chorgestühl der Augustinerkirche, die für ihre musikalischen Messen berühmt ist.
© V. E.

Nichts läge dem Pater ferner, als sich über seinen Arbeits- und Lebensplatz zu beklagen. Nach ihrer Fertigstellung, 1339, stand die von ihm mitbetreute Augustinerkirche als imposanter Gotikbau allein im Herzen Wiens. Als man die Hofburg erbaute und den Albertinatrakt errichtete, wurde die Kirche in den Gesamtkomplex integriert. Das Erdgeschoß und den ersten Stock zwischen Kirche und Albertina bewohnen heute die vier Mönche. Nur manchmal trampeln ein paar Kinder in der Albertina-Malschule über ihnen ein wenig zu laut.

Wenig Nachwuchs

Eines der ersten Erlebnisse, an das sich Pater Dominic aus seiner eigenen Kindheit erinnern kann, ist die Landung mit seiner Mutter und seinem Bruder in Bengasi, Libyen. Der Vater arbeitete für Siemens und hatte sich, bevor die Familie dorthin für ein Jahr nachzog, einen kräftigen Bart stehen lassen. So kräftig, dass der vierjährige Dominic seinen Vater am Ende der "elendslangen" Flughafenhalle nicht mehr erkannte.

Das erste Schuljahr wiederum verbrachte er in Montevideo, in Uruguay. Danach nahm das kosmopolitische Leben vorerst ein Ende. Während seiner Jugend in Oberbayern kristallisierten sich zwei Berufe für Pater Dominic heraus: Braumeister oder Priester. Irgendwann lernte er einen Glaubensdiener kennen, kam öfter nach Wien, und sei "so hineingewachsen". Wobei er gesteht, dass er auch mit einem anderen Orden geliebäugelt hatte.

Den Menschen zum Leben verhelfen können, das habe die Entscheidung schließlich ausgemacht. Auch er war von strengen, aber "sehr, sehr guten" Priestern in seiner Kindheit und Jugend begleitet worden. Das hatte ihm gefallen. Dass die Möglichkeit, Papst zu werden, ihn in seiner Berufswahl bestärkt hätte, verneint er.

Eine Ablehnung der Schöpfung sieht Pater Dominic im Klosterleben nicht. "Man sperrt sich nicht um seiner selbst willen weg, sondern um seinen Dienst der Kirche anzubieten." Wobei die Augustiner ohnehin nie ein abgetrenntes Klosterleben geführt hätten. Sie waren bereits im Mittelalter immer in den aufstrebenden Städten angesiedelt und hatten stets auch Seelsorge betrieben.

Die Vorzüge des Stadtlebens genießt auch Pater Dominic durchaus von Zeit zu Zeit. Zur Zerstreuung geht er ins Kino, auch wenn er sich an den letzten Film nicht mehr erinnern kann. Oder, wenn die Haushälterin, die vier Tage in der Woche für Gottes Segen die vier Männer bekocht, nicht da ist, geht es mittags in ein Gasthaus, "wie es Geschäftsleute auch machen".

Wenn er außerhalb der Kirchen- und Klostermauern unterwegs ist, ist er fast immer als Priester erkennbar. Wenn er Zivilkleidung statt Ordensgewand trägt, hat er zumindest den weißen Kragen angesteckt. Er möchte als Priester erkannt werden, wenn er in Wien unterwegs ist. Er sei kein großer Missionar, aber durch die Erkennbarkeit würden sich Gespräche mit Menschen ergeben. Auch wenn manchmal Bemerkungen darunter sind, die ihm nicht gefallen: "Da sind manchmal schon sehr ordinäre Sachen dabei . . ." Aber würde man ihm seinen Beruf nicht ansehen, käme gar kein Gespräch zustande.

Manchmal muss sich auch Pater Dominic Gedanken über Nachwuchs machen. Und das liegt nicht daran, dass sich ab und zu auch Frauen in ihn verlieben und ihn dies "mehr oder weniger direkt, mehr oder weniger angenehm, aber wenn, dann pene-trant" merken lassen. Nein. Das Kloster hat momentan keine Novizen und keine Studenten. Es würden zwar jedes Jahr rund zwanzig Leute anfragen, aber zur Kandidatur werden immer nur ein, zwei zugelassen. Die wenigsten seien dazu geeignet, in einer so kleinen Gemeinschaft zu leben, da man psychisch sehr gefestigt sein muss. Man kann niemandem ausweichen. Vor zwei Jahren sei einer ausgetreten, da er befunden hatte, dass Partnerschaft doch das sei, was er eigentlich wolle.

"So ist das halt", sagt Pater Dominic ohne Bedauern.

Neben manchen Frauen machen ihm zuweilen auch seine Mitbrüder zu schaffen. Es käme durchaus vor, dass man sich denke, "meine Güte, was predigt denn der jetzt!". Das könne einem natürlich auch selbst passieren. "Eine Predigt ist immer eine Herausforderung", sagt Pater Dominic, da man immer hinter der Wirklichkeit zurückbleibe. Und wenn es um bestimmte Themen gehe, werde man von den Brüdern durchaus direkt darauf angesprochen und gefragt: Wie schaut es denn da bei dir aus? Das bekomme man dann "hineingerieben", ohne so schnell in Ruhe gelassen zu werden. "Aber ich denke, das ist ganz heilsam".

Skurriler Kirchenalltag

Oft helfe auch eine gute Portion Humor. Für unfreiwillige Lacher sorgen zuweilen skurrile Begebenheiten. Ein betagter Kirchgeher hatte etwa einmal vergessen, seine Hose anzuziehen und war in Unterhosen in den Gottesdienst gekommen. Es sei ihm selbst höchst unangenehm gewesen, als er es dann bemerkt habe. Er wurde mit einer Decke versorgt und es wurde ihm eingebläut, er möge an dem Tag nicht noch flanieren, sondern schnurstracks nach Hause gehen.

Über die Augustinerkirche selbst wird zwar nicht gelacht, aber doch ab und zu gewitzelt. Manche Wiener meinen, nur "Kulturkatholiken" würden dort hingehen. Das sonntägliche Hochamt mit Chor und Orchester ist musikalisch weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt und zieht auch viele Touristen an. "Wir haben rund 400 Stammbesucher, ein relativ fester Stock." Zwischen 600 und 1500 Menschen besuchen die Sonntagsmesse, die aufgrund der Musik bis zu eineinhalb Stunden dauert.

Pater Dominic will die Besucher aber nicht als "Kulturkatholiken" abstempeln lassen. "Erstens hoffe ich, dass alle Katholiken Kultur haben, und zweitens wissen die Menschen heute durchaus beides - Musik und Messe - zu schätzen." Im Gegensatz zu seiner Anfangszeit würden die Menschen heute viel mehr mitbeten- und der Klang ihrer Stimmen erfülle die gesamte Kirche, etwa beim "Vater Unser".

Viele Stammbesucher kenne er vom Gesicht her, die wenigsten aber beim Namen. Mit vielen habe er noch nie ein Wort gewechselt, da diese oft die Anonymität suchen würden. Nicht wenige schätzen, dass man in der Augustinerkirche sein darf, ohne dass von einem etwas erwartet werde. An sozialer Kontrolle wie in der eigenen Pfarrgemeinde fehle es hier. Davon zeuge auch, dass nicht wenige Geschiedene und Wiederverheiratete gerne hierherkommen, da sie deswegen niemand schief anschaue.

Mit Predigten über das Thema Schuld halten sich Pater Dominic und seine Kollegen - bis auf jene Tage, an denen es das Evangelium thematisiert - zurück. "In erster Linie geht es doch darum, was wir zu verkündigen haben; Und das ist Jesus Christus, der Auferstandene", erklärt Pater Dominic. Jeder Mensch wisse selber, was er mit sich an Schuld herumtrage, das müsse er nicht noch im Gottesdienst ständig vor Augen gehalten bekommen.

Ein Mensch aber, der sich auf Christus einlasse, würde sich die Schuldfrage früher oder später ganz automatisch stellen. "Ich spüre, dass sich die Menschen schwer tun, mit Schuld umzugehen", sagt der Priester. Wenn Menschen sich an ihn wenden, sei es in Gesprächen oder in der Beichte, gehe es hauptsächlich um Brüche im Leben. Um Situationen, in denen sie nicht mehr weiterkommen, in denen sie Entscheidungen treffen müssen - oder bereits mussten und damit nicht zurechtkommen. Und nun einen Weg suchen, wie sie damit umgehen können.

In der Betreuung gebe es aber sehr wohl Grenzen. Priester seien nicht dafür ausgebildet, mit Menschen Geschehnisse aus der Kindheit oder Jugend aufzuarbeiten. "Meine Aufgabe ist - wenn alles aufgearbeitet wurde und die Angelegenheit noch mit Schuld verbunden wird - die Lossprechung zuzusagen." Ein Psychologe kann begleiten und Knoten öffnen, aber nicht vergeben. Vergeben sei oft der letzte Schritt, bei dem ein Mensch sich sagt: Ja, ich habe die Chance auf einen Neubeginn.

Kraft der Vergebung

In der Lossprechung vergibt Gott, aber der Mensch müsse sich auch selbst vergeben können. Pater Dominic macht oft die Erfahrung, dass sich Menschen damit sehr schwer tun. "Mit Anderen ist man oft viel barmherziger als mit sich selbst." Zu beobachten, wie Menschen in der Folge einer Lossprechung oder Vergebung aufblühen, sei für ihn "unbeschreiblich".

Neben der Feier der Heiligen Messe bereitet dem Priester die Krankensalbung die meiste Freude in seiner Tätigkeit. Viele Menschen hätten Angst vor der "Letzten Ölung", wie sie eine Zeitlang genannt wurde, vor allem die Angehörigen. Aber wenn diese mitfeiern, und das hält er für sehr wichtig, dann spüren auch sie den Trost - und jede Angst entschwinde. "Das sind für mich ganz tiefe Momente, die kann man nicht beschreiben." Indem er merke, wie die Menschen nach dem Sakrament loslassen können, deutet für ihn darauf hin, "dass sie nicht irgendwohin gehen, sondern "heimgehen"."

Der Priester sieht ein, dass sich niemand gerne mit dem Tod beschäftigt. Er erachtet es aber als immens wichtig - immerhin sterbe man bereits während des Lebens viele Tode: etwa wenn Beziehungen zu Ende gehen, Freundschaften zerbrechen oder man den Arbeitsplatz verliert. Wenn man es einmal geschafft habe, sich darauf einzulassen, hätte man die Möglichkeit, damit anders umzugehen. Das helfe, eine Atmosphäre zu schaffen, die lebensfördernd ist, in der man sich entfalten kann. Denn schließlich: "Wir sind von Gott geschaffen, um zu leben."

Veronika Eschbacher, geboren 1980, studierte in Wien Slawistik und schreibt als freie Mitarbeiterin für das Europa@Welt-Ressort der "Wiener Zeitung".