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Prinzip und Wahnsinn

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Es wird nicht leicht sein, dereinst den syrischen Rebellen (oder ihren Kindern) zu erklären, warum der Westen weitgehend tatenlos der blutigen Niederschlagung ihres Aufstands gegen die Diktatur des Baath-Regimes zugesehen hat.


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Immerhin fliegt die Nato seit Wochen Angriffswellen gegen die Truppen des libyschen Diktators. Und dabei liegt Syrien Europa - zumindest in Form der geteilten Insel Zypern - deutlich näher als Libyen. Die hilfloseste und doch zugleich bezeichnendste Erklärung lautet: Wir hatten keine Bilder!

Was nicht im Non-Stop-Modus durch die virtuellen Nachrichtenkanäle fließt, findet im realen politischen Prozess nur am Rande statt. Was wir nicht sehen, macht uns nicht heiß - dieser Satz hat für alle menschlichen Bereiche seine Gültigkeit, warum sollte das ausgerechnet in der Politik anders sein? Und von der syrischen Revolution und ihrer Niederschlagung gibt es nun einmal nur erbärmlich verwackelte Bilder von Handy-Kameras; keine Profis weit und breit - zumindest, wenn man von den Schergen des Regimes absieht, die die Abschottung des Landes organisieren.

Natürlich sind es nicht die Bilder allein, die den Westen im Falle Syriens von einer humanitären Mission abhalten. Es fehlt - anders als etwa bei Libyen - ein entsprechendes UNO-Mandat. Und man möchte lieber nicht wissen, was alles an Gräueltaten erst passieren müsste, bis es einen entsprechenden Auftrag der internationalen Gemeinschaft auch tatsächlich geben würde.

Syrien ist, anders als das Libyen des durchgeknallten Gaddafi-Clans, eine regionale Großmacht. Die Schlüssel für eine Lösung zahlreicher Konflikte in Nahost liegen in Damaskus. Und von Syrien lässt sich nicht sprechen, ohne an den Iran zu denken: Beide Staaten sehen die Welt und ihre Gefahren durch die gleiche Brille. Ein Waffengang gegen das Regime von Bashar al-Assad wäre daher Wahnsinn, seine Folgen wären - anders als in Libyen - unabsehbar.

Es ist ein Fortschritt (nicht zuletzt auch ein hervorragendes Marketinginstrument), dass Staatenbündnisse bereit sind, im Dienste einer als universal verstandenen Menschlichkeit zu den Waffen zu greifen. Aber dieses Prinzip darf nicht dazu führen, die Folgen politischen Handelns aus den Augen zu verlieren.

Aber erkläre das einer den Familien der vielen jetzt in Syrien Getöteten .. .