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Am 11. Dezember 2011 war es soweit. Nach Jahrzehnten der Monopolstellung bekam die ÖBB infolge der EU-weiten Liberalisierung des Schienenverkehrs erstmals Konkurrenz. Seit ein paar Wochen versucht nun die Westbahn GmbH als erster privater Mitbewerber, auf der Linie Salzburg-Wien am Umsatzkuchen mitzunaschen. Weitere sollen folgen.
Der Eintritt der privaten Westbahn ist zweifellos ein Meilenstein in der Geschichte des heimischen Bahnwesens. Zwar tummelten sich schon bisher zehn private Bahnbetreiber auf Österreichs Schienen, wie etwa das traditionsreiche Verkehrsunternehmen Stern & Hafferl mit Sitz in Gmunden. Im Gegensatz zur Westbahn sind diese jedoch auf den Betrieb von Lokalbahnen beschränkt.
Ein Novum ist auch das Befahren einer Hauptbahnlinie durch einen Privaten nicht. Im Gegenteil. Von Beginn an haben privater Unternehmergeist, Mut zum Risiko und ständiger Druck, den Aktionären hohe Renditen zu liefern, nicht nur Österreichs Eisenbahnlandschaft geprägt, sondern auch in unserer Kulturlandschaft nachhaltige Spuren hinterlassen.
England als Vorbild
Alles begann im Jahr 1824: Auf Initiative des Ingenieurs Franz von Gerstner wurde mit dem Bau der ersten kontinentalen Eisenbahn, der Pferdeeisenbahn zwischen Budweis, Linz und Gmunden, begonnen und die "k.k. priv. Erste Eisenbahngesellschaft" gegründet. Als Stephenson zur gleichen Zeit in England die erste Dampflok auf Schienen setzte, witterte man auch in der Habsburger Monarchie die Chance, mit der neuartigen Technologie schnell Geld zu verdienen.
Salomon Freiherr von Rothschild, der in Mähren Kohlegruben besaß, erkannte die Ertragschancen, die sich durch die Transportoptimierung ergaben, und schickte den Wiener Geologen Franz Xaver Riepl nach England, um ihn das Eisenbahnwesen studieren zu lassen. Doch als Riepl aus England zurückkehrte und Rothschild den Bau der ersten Bahn beantragte, verweigerte Franz I. die Zustimmung. Dem Kaiser war Neues grundsätzlich ein Gräuel. Erst unter seinem Nachfolger Ferdinand kam es zur Errichtung der ersten Privatbahngesellschaft, der "Kaiser-Ferdinands-Nordbahn", mit deren Fahrt von Floridsdorf nach Deutsch-Wagram am 11. November 1837 (also heuer vor 175 Jahren) in Österreich offiziell das Eisenbahnzeitalter begann.
Schon im Jahr darauf erschloss eine zweite Gesellschaft - die "Wien-Raaber-Eisenbahn-Gesellschaft" - den Osten und wenig später mit einem Ableger in Richtung Gloggnitz den Süden.
Die Kritiker, die den Erfolg dieser neuen Unternehmungen angezweifelt hatten - trotz aller euphorischen Prognosen waren ja keine Vergleichsziffern vorhanden - wurden bald eines Besseren belehrt. Der Personenverkehr überstieg teilweise das Achtzigfache der ursprünglich angenommenen Ziffern, die Einnahmen oft das Doppelte der Betriebsausgaben. Die Aktionäre in den Eisenbahngesellschaften hatten ihr Geld richtig angelegt.
Die Wirtschaftskrise von 1841 beendete diese erste Privatbahnphase. Der Staat war sich der Bedeutung der neuen Technologie mittlerweile bewusst und betrieb den Weiterbau der Bahnstrecken auf eigene Rechnung. In diese Zeit fiel der Bau der Semmeringbahn. Carl Ritter von Ghega, ein Venezianer albanischer Abstammung, ging mit der Konstruktion der weltweit ersten Gebirgsbahn in die Geschichtsbücher ein.
Doch schon 1854 sah sich der Staat aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten - eine Spätfolge der Revolution - gezwungen, die nach 1841 entstandenen oder übernommenen Bahnlinien wieder zu verkaufen. Die Kaiser-Ferdinands-Nordbahn (KFNB) wurde zu einer streng nach kapitalistischen und autoritären Grundätzen geführten Gesellschaft, die Gewinn abwerfen sollte - und dies auch tat. Sie genoss den Ruf einer ausgezeichnet organisierten, gut geführten und daher präzise funktionierenden Linie - "pünktlich wie die Nordbahn" war ein geflügeltes Wort -, war aber auch Kritik ausgesetzt. Das Kürzel KFNB stand für viele für "Kein Fleisch nur Brot", was sich auf die schlechte Bezahlung der Angestellten bezog.
Neben der KFNB kam es durch die Vereinigung aller südlichen Linien der Monarchie zur Gründung der Südbahngesellschaft, die damit zu einer der größten Bahngesellschaften Europas aufstieg. Und erst 1856 wurde als letzte der wichtigen Verkehrsachsen die heute mit Abstand wichtigste Bahnlinie, die Westbahn, in Angriff genommen.
Um 1880 war der Ausbau der Hauptbahnen in der Monarchie so gut wie abgeschlossen und man begann, mittels Secundärbahnen auch abgelegene Gebiete "dem wirtschaftlichen Niedergang zu entreißen". Ein Gesetz aus dem Jahr 1877 ermöglichte es, Lokalbahnen billiger herzustellen als Hauptbahnen und mit vereinfachter Betriebsführung zu betreiben.
Die Folge war ein Privatbahn-Boom, in dem, der Aufbruchstimmung der Gründerzeit entsprechend, kein Tal zu weit, aber auch kein Berg zu hoch für eine bahntechnische Erschließung schien: Ob Schneeberg, Schafberg, Gaisberg, Kahlenberg und Leopoldsberg, alles war möglich und dem technisch und wirtschaftlich Machbaren scheinbar keine Grenzen gesetzt. Zum Ende des Ersten Weltkriegs gab es in Österreich über 60 Privatbahnen.
Verstaatlichung
Ausgelöst durch die Wirtschaftskrise von 1873, begann der Staat, sich die großen Bahngesellschaften dauerhaft anzueignen und unter seine Kontrolle zu bringen. Der Staatsbahngedanke setzte sich immer mehr durch. 1884 wurde die Westbahn verstaatlicht - und 1906 auch die höchst profitable Nordbahn. Nur die hoch defizitäre Südbahn blieb von der Verstaatlichung verschont. Ein Umstand, der für die Entwicklung des Tourismus in Österreich von entscheidender Bedeutung sein sollte.
Die Südbahngesellschaft hatte gerade die Pustertalbahn fertiggestellt, eine Verbindungsbahn zwischen der Hauptstrecke Wien-Triest und der ebenfalls zur Südbahn gehörenden Brennerstrecke. Da jedoch die Passagierzahlen der Pustertalbahn am Boden lagen, beschloss der visionäre Generaldirektor der Südbahn, Friedrich Schüler, inspiriert von englischen Eisenbahnhotels, aber auch vom aufstrebenden Schweizer Hotelwesen, dort ein Hotel zu errichten. Der Baubeginn des modernen und eleganten Hotels im "Schweizerstil" in Toblach (Dobbiaco) erfolgte 1878, zu einem Zeitpunkt, als die österreichische Alpenwelt noch keine Hotels im heutigen Sinne kannte; einzig das Salzkammergut und Gastein waren touristisch einigermaßen erschlossen. Der Erfolg kam über Nacht und überraschte selbst die Südbahngesellschaft. Das Grand Hotel Toblach mit seinen Hunderten von Zimmern wurde zu einem der renommiertesten Fremdenverkehrsorte in den Alpen, zum Treffpunkt gekrönter Häupter und zum Urlaubsziel Ruhe suchender Künstler, wie etwa Gustav Mahler, der von 1907 bis 1910 die Sommermonate in Toblach verbrachte.
Von diesem Erfolg angefacht, beschloss Schüler, auch am Semmering ein Hotel zu errichten. Seit 1854 war ja die Überquerung des Semmering per Bahn möglich; doch wollte noch kaum jemand in der als rau empfundenen Gebirgsgegend aussteigen. Generaldirektor Schüler war von den landschaftlichen Vorzügen, die der Hotelplatz Semmering seinen Gästen bieten würde, überzeugt. Und die Rechnung, hier zwischen den beiden kaiserlichen Sommeraufenthalten Reichenau (NÖ) und Schloss Neuberg (Stmk) ein alpines Fremdenverkehrszentrum zu errichten, ging voll auf. Die nahe Anwesenheit von Mitgliedern des Kaiserhauses zog massenweise "lufthungrige" Wiener Gesellschaft an.
Im Sog des wirtschaftlichen Erfolgs des Südbahnhotels schossen weitere Hotels wie das Panhans aus dem Boden. Um sich von diesen abzusetzen, führte Schüler die nächste Neuerung ein: Nach Schweizer Vorbild, wo die ersten Wintersportanlagen errichtet wurden und sich viele Hotels vom Ein- zum Zweisaisonbetrieb entwickelten, stellte das Südbahnhotel auf Zweisaisonbetrieb um und investierte in die Errichtung der ersten Wintersportanlage.
So kam es, dass die Südbahn nicht nur den alpinen Kur- und Hotelbetrieb aus der Schweiz importierte, sondern auch die "Wintersaison" samt dem dort praktizierten Wintersport- und Unterhaltungsprogramm. Bald verfügte auch der Semmering über mechanische Aufstiegshilfen, die Vorgänger des Schleppliftes waren. Da nun auch während der Wintersaison ein elitäres Publikum auf den Berg fuhr, um die Höhensonne zu genießen, erlangte der Semmering innerhalb weniger Jahre den Ruf des "mondänsten", aber auch größten und vornehmsten Wintersportplatzes Österreichs.
Die Vorreiterrolle des Semmering in Österreichs Tourismus und Sportanlagenbau - 1911 stand hier die größte Sprungschanze Mitteleuropas und ab 1926 gab es den ersten Golfplatz Österreichs - sollte erst um die Mitte des 20. Jahrhunderts verloren gehen.
Von den touristischen Volltreffern der Südbahngesellschaft ermutigt und um auch das südliche Bahnnetz anzukurbeln, beschloss Generaldirektor Schüler, auch an der Adria ein Hotel zu gründen. Die Südbahn verkehrte ja schon seit 1857 problemlos zwischen Wien und Triest. Im istrischen Abbazia (Abtei, Opatija), das bis auf vereinzelte Fischerhäuser nahezu unbesiedelt war, fand man einen Ort, dem von Wiener Ärzten eine besonders hohe Konzen-tration des Aerosols in der Luft und daher ein für Menschen mit Atemwegserkrankungen hoher Kurfaktor nachgesagt wurde.
Kurort vom Reißbrett
In Abbazia baute man aber nicht nur ein Hotel. Hier kam es zum spektakulärsten Projekt in der Hotelbaugeschichte der Südbahngesellschaft überhaupt: Nach dem Vorbild weltberühmter Seebadeorte wie San Remo, Monte Carlo oder Brighton baute man in Abbazia innerhalb kürzester Zeit und unter immensem Finanzaufwand einen kompletten Kurort: zwei Palasthotels, Kuranstalten und Sanatorien, eine Ufer-Kurpromenade mit Denkmälern, Springbrunnen und Sitzbänken, einen Musikpavillon mit Kurkapelle, Trinkhallen, diverse Sportplätze. Und auch hier ging die Rechnung der Südbahngesellschaft voll auf: 1908 nahm die Kuranlage mit rund 34.000 Gästen den zweiten Platz der k. u. k. Bäderorte hinter Karlsbad ein.
So wie die Südbahngesellschaft versuchte auch die Kaiserin-Eilsabeth-Bahn, den Fremdenverkehr an der Westbahnstrecke durch den Bau größerer Hotels zu beleben. Die Hotels der Westbahn erreichten jedoch nie die Qualitätsstufe der Südbahnhotels.
In der heutigen Zeit, die weit entfernt von den Möglichkeiten der Gründerzeit, dafür aber geprägt ist vom allgegenwärtigen Wort "Krise", wird mit bescheidenerem Aufwand um den Kunden geworben: Hotels bietet die neue Westbahn GmbH keine an, dafür Ledersitze im ganzen Zug, und statt Höhensonne gibt es W-Lan in allen Garnituren.
Arthur Fürnhammer, , geboren 1972, lebt als freier Autor und Journalist in Wien,