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Privatisieren, ehe es zu spät ist

Von Engelbert Washietl

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Der Autor ist Vorsitzender der "Initiative Qualität im Journalismus"; zuvor Wirtschaftsblatt, Presse, und Salzburger Nachrichten.

Im vermeintlichen "Familiensilber" des Staates sitzt die Zinnpest. Das Problem ist aber kein metallurgisches. Wer Käufer für noble Staatsmarken sucht, muss sich beeilen.


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Ob Finanzminister Wilhelm Molterer weitere Privatisierungen überhaupt ins Auge fassen darf - "andenken" heißt das in der politischen Fachsprache -, mögen die Ideologiefunktionäre aller Schattierungen beantworten. Sie überpurzeln sich sowieso schon. Zugleich aber sollten sie genauer nachschauen, ob das Familiensilber so toll ist, wie sie vorgeben. Die Art, wie sich der saudiarabische Investor Al Jaber von der AUA weggedreht hat, lässt zumindest manchen Verdacht aufkommen. Die Telekom (TA), die auf dem Privatisierungsweg schon viel gelernt hat und an der Börse gelandet ist, würgt noch immer am einstigen Staatsanteil: Was tun mit etlichen tausend Beamten, die offenbar nicht verwendungswillig und -fähig sind? Diese TA-Story, die die Gewinne des Unternehmens im ersten Quartal kräftig drückte, ist das Paradebeispiel dafür, dass der Staat offenbar die Spätfolgen seiner früheren Reformunfähigkeit mit an die Börse schickt.

Zwar muss man zugeben, dass der Kontrast zwischen den Welten der pragmatisierten Beamtenschaft und eines vom Shareholder-Value getriebenen Jobverbrauchsunternehmens der Kommunikationsindustrie besonders krass ist. Im Endergebnis aber nützt es nichts: Wer soll die auf viele Jahre hochzurechnenden Kosten eines "nichtoperativen", also unproduktiven Personalanteils tragen?

Ähnliche Fallen sind in anderen staatsnahen Unternehmen versteckt. Der Rechnungshof, der sich immer stärker vom bloßen Rechnungsbeleg-Zähler zu einem Wirtschaftlichkeitsprüfer entwickelt, hat den Austrian Airlines schon mehrfach vorgeworfen, dass sie angesichts des Typenwildwuchses ihrer Flugzeugflotte ins Minus fliegen werde. Weder lassen sich Maschinenparks von heute auf morgen modernisieren noch überhöhte Pensionsverträge beseitigen: Die Langzeitfolgen sind programmiert.

Ähnlich bei den ÖBB, deren Personalvertreter offenbar mit Raffinesse sämtliche Rationalisierungsprogramme unterlaufen und sich Privilegien herausschlagen, die die Wirkung mehrerer Jahrzehnte haben. In dem Rechnungshofbericht, der am heutigen Dienstag im Rechnungshof-Ausschuss des Nationalrats behandelt wird, heißt es beispielsweise: "Die ab Mai 2002 erfolgte Einbeziehung des allgemeinen Nebenbezugspauschales anstelle von Nebenbezügen in die Gehaltsansätze der unkündbaren Angestellten der ÖBB wird den Bund bis 2056 mit voraussichtlichen Mehrkosten von insgesamt rund 1200 Millionen Euro belasten." Der Nebengebührendurchschnittssatz sei sogar angehoben worden, ohne dass erkennbar wäre, welche Leistungen diesem Zugeständnis zugrunde lägen.

Weil bei den vollbürokratisierten ÖBB Versetzungen und Kündigungen tabu sind, zieht sich das Monsterunternehmen durch Pensionierungen "aus organisatorischen Gründen" auf Kosten der defizitdeckenden Steuerzahler aus der Affäre. Der Anteil solcher Ruhestandsversetzungen, die wirklich nichts mit dem gesetzlichen Pensionsalter zu tun haben, schnellte bis 2006 bereits auf 65 Prozent aller Pensionseintritte hinauf. Ergebnis: Das durchschnittliche Pensionsantrittsalter der unkündbaren Angestellten der ÖBB liegt bei 52 Jahren.

Wenn Molterer also den im Prinzip richtigen Weg empfiehlt, den Kostenschub bei gesamtgesellschaftlichen Aufgaben wie Gesundheit, Pflege und Alterversorgung durch Umschichtungen staatlicher Eigentumsverhältnisse aufzufangen, bleibt dennoch zu fürchten: Unter den gegebenen Umständen wird die Privatisierung weniger Geld einspielen als erwartet.
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