Die im April entstandene Rebellenbewegung weitet Einfluss aus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Rutshuru.
"Integrations- und Trainingscenter Rumangabo" steht in großen Lettern über dem Eingangsportal geschrieben. Dahinter erstrecken sich dutzende Häuser im belgischen Kolonialstil. Bis vor zwei Wochen war dies noch Ostkongos größte Militärakademie. Jetzt ist das große Gelände auf dem Hügel über der Kleinstadt Rumangabo, rund 48 Kilometer von der Provinzhauptstadt Goma entfernt, eine zentrale Basis der M23-Rebellen. Die Einschusslöcher im Wachturm zeugen noch von dem Gefecht, das hier stattfand. Die M23-Führung wolle nun den Schriftzug umändern, erklärt Oberst Douglas Mpamya: in "M23-Trainingszentrum". "Wir trainieren unsere Kämpfer im Häuserkampf, um sie auf den Sturm auf Goma vorzubereiten", sagt er.
Rumangabo liegt mitten im M23-Rebellenterritorium im Ostkongo, das immer größer wird. Die im April entstandene Rebellenbewegung hatte Anfang Juli begonnen, aus ihren Basen an der Grenze zu Ruanda vorzustoßen. Nach mehreren erfolglosen Gegenoffensiven der Regierungsarmee kontrolliert die M23 jetzt wieder die Bezirkshauptstadt Rutshuru und das umliegende Gebiet.
Oberstleutnant Vienney Kazarama stapft vom Kommandeurshaus in der Militärakademie den Hügel hinunter, seine Leibwächter im Schlepptau.
Er schwingt sich in einen Geländewagen, um "das befreite Territorium zu zeigen", wie er sagt. Kazarama ist einer der Mitbegründer der M23.
Berichte über Zwangsrekrutierungen
Auf der staubigen Piste von Rumangabo nach Rutshuru stehen seine Kämpfer am Straßenrand und salutieren. "Sie sind viel disziplinierter als die Soldaten der Armee", prahlt Kazarama. Der M23-Sprecher bemüht sich, die Herrschaft seiner Miliz im besten Licht darzustellen.
In Kiwanja, einem Vorort von Rutshuru, begrüßt Kazarama den Vize-Koordinator des politischen Flügels der M23, Ali Musagara. Dieser trommelt die Jugendlichen zusammen, die auf der Straße herumlungern. Hunderte stehen um ihn herum, als er anfängt, seine Rede zu halten:
"Wir rekrutieren niemanden mit Gewalt, sondern wir warten auf euch, dass ihr euch uns freiwillig anschließt", wettert er. Er versucht damit den jüngsten Berichten entgegenzutreten, die M23 würde systematisch Jugendliche zwangsrekrutieren.
Die M23 ist derzeit dabei, ein eigenes Regierungs- und Verwaltungssystem aufzubauen: Ministerien werden eingerichtet, Vertreter im Ausland - auch in Europa - sollen als Botschafter dienen, in Rutshuru werden zentrale Posten wie die Krankenhausdirektion oder lokale Verwaltung an M23-loyale Bewerber vergeben. "Jeder ist eingeladen, einer unserer Funktionäre zu werden", verspricht Musagara und fragt in die Menge, ob jemand Fragen stellen möchte.
500 Dollar Wegzoll verteuern Lebensmittel
Ein junger Mann meldet sich zu Wort. Er sei Lastwagenfahrer, erklärt er und beschwert sich zaghaft über die 500 Dollar Wegezoll, die er an der M23-Straßensperre in Rutshuru zahlen muss. Musagara rechtfertigt diese Gebühr: Die M23 habe noch keine Einnahmen, müsse aber die Kämpfer mit Essen versorgen. "Wir sind nicht wie die Soldaten der Armee, die euch ausrauben, wir verlangen eben Steuern", sagt er.
Die Folgen dieses Wegezolls sind bereits in der Provinzhauptstadt zu spüren. Da die meisten Lebensmittel von den Maisplantagen und Feldern in Rutshuru nach Goma geliefert werden, haben sich die Preise enorm erhöht. Ein Beispiel: Ein Sack Maniok kostete bislang maximal 30 Dollar, jetzt kostet er das Doppelte - auch, weil mittlerweile zigtausende Vertriebene aus den Dörfern entlang der Frontlinie nach Goma geflüchtet sind.
Langsam aber stetig rücken die Kämpfer der M23 auf Goma zu. In Kleingruppen hocken sie entlang der Straße, die von Rutshuru bis nach Goma führt. In einem Waldstück kurz vor der Siedlung Kibumba, 28 Kilometer vor Goma, rüsten sie sich auf die Attacke.
Die Siedlung Kibumba ist verwaist. Bereits am frühen Morgen hatten die Einwohner ihre Habseligkeiten gepackt und waren nach Goma geflüchtet.
Auf der südlichen Seite von Kibumba hat die Armee ihre wichtigsten Verteidigungsstellungen eingerichtet: Mit vier alten rostigen Panzern rollen sie jetzt auf Kibumba zu, schießen in die Landschaft. Zu Fuß und schwer betrunken marschieren die Soldaten von der schnellen Eingreiftruppe hinter den Panzern her. Sie grölen und lachen. Einige feuern ziellos von einem Hügel herunter. Angeblich hätten sie am Morgen ihren Sold ausbezahlt bekommen, um die Motivation zu erhöhen - die meisten haben dieses Geld scheinbar in Alkohol investiert.
Einige indische Kommandeure der UN-Mission (Monusco) beobachten das Manöver kopfschüttelnd. "Die Kongolesen haben ein enormes Problem mit der militärischen Führung, das passiert hier alles unkoordiniert", sagt er und gibt an die kongolesischen Kommandeure den Befehl, die Offensive für heute abzubrechen.