Zum Hauptinhalt springen

Proben für den späteren Job

Von Stephanie Anko

Politik
600 Mitglieder zählt der Studentenverein in Österreich.
© Christina Svilenska

Internationaler Studierendenverein "AIESEC" bietet interkulturelle Arbeitserfahrungen für Mitglieder.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wien. Beim internationalen Studierendenverein "AIESEC" eignen sich Mitglieder neben dem Studium zusätzliche Kompetenzen für die Arbeitswelt an. Geld gibt es dafür keines. Die Organisation kommt besonders Studierenden aus Drittstaaten zugute.

Auf den ersten Blick scheint im Club-Raum des neuen Gebäudes der Wirtschaftsuniversität (WU) eine Cocktailparty stattzufinden: Junge Menschen - die Mehrheit mit einem Weinglas in der Hand - stehen an hohen Tischen mit Häppchen und unterhalten sich. Die Männer tragen Anzüge oder sind zumindest "business casual" gekleidet, die Frauen haben elegante Sommerkleider an. Es ist aber keine gewöhnliche Ansammlung von WU-Studierenden. Sie ist, kurzgefasst, multikultureller: Man sieht den Studierenden an, dass sie aus unterschiedlichen Regionen der Welt kommen. Alle haben eines gemeinsam: Sie sind Mitglieder des internationalen Studierendenvereins AIESEC.

AIESEC wurde 1948 in Stockholm von Studierenden der Wirtschaftswissenschaften gegründet. Mittlerweile hat der nicht-politische Verein Standorte in 124 Ländern. In Österreich existiert die Organisation seit 1952. Ursprünglich war AIESEC eine Abkürzung für die französische Bezeichnung: "Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales" (auf Deutsch: "Internationaler Verein von Studierenden der Wirtschafts- und Handelswissenschaften"). Seit die Organisation auch jungen Menschen aus anderen Studienrichtungen offensteht, wird das Kürzel als Eigenname verwendet. Ziel einer Mitgliedschaft ist es, neben dem Studium interkulturelle Arbeitserfahrungen in Form von Auslandspraktika zu sammeln und sich in vereinsinternen Führungspositionen auszuprobieren. Wer zum Präsidenten oder Vizepräsidenten gewählt wird, erfährt, was es bedeuten kann, ein Unternehmen zu leiten. Hierzulande zählt AIESEC rund 600 Mitglieder an allen sechs Standorten (Wien, Linz, Graz, Salzburg, Innsbruck und Klagenfurt) zusammen - etwa 200 Studierende zählt der Standort Wien.

Die Vereinssprache an allen Standorten AIESECs weltweit ist Englisch, was der weiteren Vernetzung sowie dem kulturellen Austausch dient. Für viele Studierende aus dem Ausland war das der ausschlaggebende Punkt, um bei AIESEC beizutreten. Gerade in Österreich angekommen, sind manche mit Deutsch überfordert.

Als Entlohnung Schokolade

Jedes Jahr vermittelt AIESEC rund 60 Mitgliedern aus dem Ausland einen Job in Österreich - die Hälfte davon bekommt einen bezahlten Praktikumsplatz, die andere Hälfte kommt, um Freiwilligenarbeit zu leisten. Um die sprachlichen Barrieren bei den Praktikumsstellen im Vorhinein aus dem Weg zu räumen, kooperiert AIESEC in Österreich mit Unternehmen, bei denen Englisch gesprochen wird. Zu ihren Kooperationspartnern gehört etwa die internationale Transportorganisation Lkw Walter sowie der Verein SOS-Kinderdorf.

Da die Tätigkeiten innerhalb der Organisation nicht entlohnt werden, bekommen besonders engagierte Mitglieder bei dieser letzten Feier im hell beleuchteten WU-Clubraum eine kleine Auszeichnung. Manche bekommen kleine Geschenke wie Blumen, andere Schokolade, und dazu kommt stets eine kleine Urkunde. Moderiert wird das Event von einer zierlichen Studentin indischer Herkunft.

Aufgewachsen ist sie in den USA, ihr Englisch ist dementsprechend perfekt. Um ihr Publikum zwischen den Preisvergaben zu unterhalten, macht die Amerikanerin einen indischen Akzent nach und erntet für ihre bewusst übertriebenen, stereotypen Darstellungen viel Gelächter. Sobald es an die nächste Kategorie von Ehrungen geht, wird sie aber wieder ernst und liest die Namen der Gewinner ohne indischen Akzent vor. Bei allen Urkundenempfängern jubelt die Versammlung und klatscht so lange, bis es der geehrten Person schon peinlich wird. Neben dem Vermitteln von Praktikumsstellen gibt es zahlreiche Aufgaben, die AIESEC-Mitglieder übernehmen: Es werden neue Studierende angeworben, neue Kooperationspartner gesucht und die Mitglieder helfen hin und wieder bei sozialen Projekten wie dem Verein Ute Bock aus.

Traumjob im IT-Bereich

Das alles ist mit viel Arbeit und Zeit verbunden, die diese Studierenden freiwillig außerhalb ihres Studiums zur Verfügung stellen. Einige haben nebenbei noch einen bezahlten Job. Die Motivation hinter diesem Engagement? "Die Arbeitserfahrung", so die 22-jährige Südtirolerin Lisa Less. Sie findet, dass ein Uni-Abschluss oder Spracherfahrungen heute nicht mehr reichen.

Im Verein kann sie sich austesten und Aufgaben übernehmen, zu denen sie sonst nicht käme - etwa ein Team von Studierenden bei einem der Projekte von AIESEC leiten. Less selbst leitet das Team, das die Übersicht über die Finanzen der Organisation in Wien hat. Damit der Verein erhalten werden kann, gibt es kleine Mitgliedsbeiträge, die bei der Aufnahme einmalig eingezahlt werden. Ihre Aufgabe ist es, die Investitionen - etwa in die Miete für ihr Büro nahe dem Ernst-Happel-Stadion - nicht das vorhandene Budget übersteigen zu lassen.

Praktische Erfahrungen sind ebenso für die gebürtige Ukrainerin, Iryna Bursuk, von großer Bedeutung. Die 24-Jährige macht gerade ihren Master in Betriebswirtschaft und ist seit mehr als einem Jahr Mitglied bei AIESEC.

Für Bursuk gäbe es in Österreich derzeit keine andere Möglichkeit, Arbeitserfahrungen zu sammeln, weil sie Staatsbürgerin eines Nicht-EU-Landes ist: "Ich interessiere mich für Projektmanagement und hätte nach meinem Studium gerne einen Job im IT-Bereich", erzählt sie. Da AIESEC wie ein Großunternehmen und dementsprechend stark hierarchisch gestrickt ist, hat Bursuk hier mehrere Optionen, um sich in Leitpositionen unterschiedlicher Teams zu testen. Das ist wohl einer der Vorteile, der den Drittstaatsangehörigen besonders zugutekommt: "Jeder hat die gleichen Chancen", so Barbora Spacilova, die 24-jährige Präsidentin des Vereins in Wien.