Zum Hauptinhalt springen

Problemfall Erdogan

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert.

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein Meister darin, sich als Lösung von Problemen zu empfehlen, die er selbst (mit-)verursacht hat.

Beispiel eins: die Flüchtlingskrise. Jahrelang hat die Türkei Dschihadi-Söldner, die für den IS in Syrien kämpfen wollen, sowie Nachschub einfach durchgewunken. Erdogans Syrien-Poltik hat im Bürgerkriegsland als Brandbeschleuniger gewirkt. Freilich, die Türkei hat mehr als zwei Millionen syrischer Flüchtlinge aufgenommen. Aber muss sie sich nicht die Frage der Mitschuld an der Eskalation des Konflikts gefallen lassen? Warum also betrachten Europas Regierungen Präsident Erdogan, seinen Premier Ahmed Davutoglu und deren Partei AKP als die wichtigsten Verbündeten zur Lösung einer Flüchtlingskrise, zu der sie zweifach beigetragen haben?

Solange die Türkei im IS ein Instrument sieht, um die syrischen Kurden in Schach zu halten und den eigenen Einfluss in Syrien zu wahren, kann Erdogan in der Syrien-Frage kein Verbündeter sein. Er macht auch einen schweren Fehler, wie der Blick ins Geschichtsbuch zeigt. Denn schon die USA haben die Folgen ihrer Unterstützung der Dschihadisten (darunter eines gewissen Osama bin Laden) gegen die Sowjets in Afghanistan spüren müssen. Die Amerikaner nennen das "Blowback", wir nennen es Bumerang.

Beispiel zwei: Jahrelang betreibt Erdogan die Polarisierung der türkischen Gesellschaft, zumindest sein Umfeld scheut nicht vor Gewalt als Instrument im Kampf gegen politische Gegner zurück und hat auch keine Bedenken, kritische Journalisten, Intellektuelle und Blogger einzuschüchtern und mundtot zu machen. Und genau dieser Polarisierer, Eskalierer und Verbalradikale Erdogan hat seine AKP nach einer Serie von mysteriösen Bombenanschlägen und vor dem Hintergrund des wiederaufgeflammten bewaffneten Kurden-Konflikts mit der Botschaft "Wir oder das Chaos" in die jüngste Runde der Parlamentswahlen geschickt. Erdogans Kalkül ist aufgegangen, die Botschaft hat verfangen und die AKP von den Wählern wieder die absolute Mehrheit erhalten. Immerhin reicht diese nicht für die von Erdogan angestrebte Verfassungsänderung aus, mit der er die Türkei von einer Parlaments- zu einer Präsidialdemokratie umbauen will. Dennoch: Die Mehrheit der türkischen Wähler sieht in Erdogans AKP die Lösung und nicht das Problem. Dabei ist mittlerweile Erdogan das Problem.