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Prodi im Kreuzfeuer der Kritik

Von Matthias Lauber

Europaarchiv

Brüssel - Geht es um Romano Prodi, den Präsidenten der Europäischen Kommission, will die Kritik der Medien in Europa seit Tagen nicht verstummen. Es ist nicht die erste Welle kritischer Beiträge zum Auftreten und zur Person des früheren italienischen Regierungschefs samt Spekulationen über einen vorzeitigen Abtritt an der Spitze der Brüsseler Behörde. Doch dieses Mal sah sich Prodi selbst veranlasst zu versichern, er habe keinerlei Absicht, zurückzutreten.


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Prodis Sprecher Jonathan Faull sprach am Mittwoch in Brüssel gar von "dummen Lügen", die mehrere Zeitungen über seinen Kommissar verbreiteten. Solch schweres Geschütz wird in Brüssel selten, aber nicht von ungefähr aufgefahren.

Sprachenmuffel?

Hatte doch beispielsweise die in Europa angesehene "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter der Überschrift "Problemfall Prodi" gezweifelt, ob der ehemalige Wirtschaftsprofessor wirklich der geeignete Mann für diesen Schlüsselposten sei. Nicht ganz so neu ist ein anderer Kritikpunkt, der in vielen Zeitungen gegen den 62-Jährigen ins Feld geführt wird: seine Fremdsprachenkenntnisse. Für den Chef einer Behörde mit elf Amtssprachen und mindestens Englisch und Französisch als Arbeitssprachen ist das keine nebensächliche Qualifikation. In der Tat: Prodis Englisch und Französisch ist schwer verständlich. Aber auch in seiner Muttersprache sind viele seiner Erläuterungen langatmig.

Prodi sei nicht genügend Europäer, ist ein anderer Kritikpunkt, zu dessen Beleg von Zeitungen auf einen rein italienischen Beraterkreis verwiesen wird. Stimmt einfach nicht, kontert Prodis Sprecher, es handle sich dabei "nicht ausschließlich" um Italiener. Der Vorgänger von Prodis heutigem Sprecher war jedenfalls ein Italiener: Ricardo Franco Levi. Der hatte als Sprecher vor dem Brüsseler Pressecorps zwar alles andere als eine gute Figur gemacht, dafür wurde er aber im Mai vergangenen Jahres immerhin zum Chef der reformierten Planungseinheit gekürt, die den Präsidenten bei der Ausarbeitung zukunftsweisender Politik beraten soll.

Auf Kriegsfuß mit Belgiern

Nicht gut zu sprechen auf Prodi sind derzeit auch die Belgier, die in diesem Halbjahr den Vorsitz im Ministerrat führen. Weil Regierungschef Guy Verhofstadt und Außenminister Louis Michel angeblich immer zu lange reden, verweigerte Prodi in Gent seine Teilnahme an der Abschluss-Pressekonferenz. Und ließ über den Sprecher seinen Ärger über den belgischen Vorsitz öffentlich aus.

EU-Machtkalkül

Ob es Prodi Führungskraft mangelt? Zumindest laut und offiziell hat ihm das bisher kein Regierungsmitglied attestiert. Kein Wunder, sind es doch die Mitgliedstaaten gewesen, die Prodi nach dem unrühmlichen Ende des Kollegiums unter Jacques Santer auf den Posten in Brüssel gehievt hatten. Damals vor zwei Jahren war schon klar gewesen, dass die EU-Hauptstädte nicht noch einmal eine so starke Figur an die Spitze der EU-Behörde setzen wollten wie sie seinerzeit Jacques Delors war. Die Kommission in Brüssel, trotz aller Rückenstärkung durch das EU-Parlament, kann schließlich immer nur so stark sein, wie dies die Regierungen im Ministerrat zulassen. Bei der Nachbesserung des weit hinter den Erwartungen zurückgebliebenen Vertrags von Nizza wird es vor allem um das Machtgleichgewicht zwischen den EU-Institutionen geben. Eine geschwächte Kommission mit einem Präsidenten auf Abruf könnte den Regierungen da vielleicht nur recht sein.