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Profilierung durch Peace-keeping

Von Wendelin Ettmayer

Politik

Mitte der neunziger Jahre waren noch 4.400 kanadische Soldaten bei den verschiedensten Friedens-Operationen eingesetzt. Bis Ende 2000 ist diese Zahl auf 2.515 zurückgegangen, nachdem sich Kanada aus Ost-Timor und dem Kosovo zurückgezogen hatte. Die Sparmaßnahmen im Verteidigungsbereich, die damit verbundene Reduzierung der Streitkräfte von 75.000 auf 60.000 und die Einsparungen beim zivilen Personal in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre haben sich auch auf den Peace-keeping-Bereich ausgewirkt.


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Diese kanadischen Sparmaßnahmen kamen zu einem Zeitpunkt, als, nach Beendigung des Kalten Krieges, von den Vereinten Nationen immer neue Einsätze beschlossen wurden. Allein zwischen 1991 und 1996 wurde 24 neue Peace-keeping Missionen festgelegt, um sechs mehr als in den vorangegangenen 43 Jahren. Dieses verstärkte UNO-Engagement war darauf zurückzuführen, dass man die neu gewonnene Handlungsfreiheit nutzen wollte, regionale und lokale Konflikte auf der ganzen Welt einzudämmen.

Veränderte Aufgaben

Somit sind in den neunziger Jahren verschiedene Schwierigkeiten zusammengetroffen: Nachdem sich die Supermächte aus den Randgebieten ihrer bis dahin bestehenden Einflusssphären zurückgezogen hatten, sind dort verstärkt Bürgerkriege und lokale Konflikte ausgebrochen. Gleichzeitig hatten viele westliche Staaten ihre Verteidigungsbudgets reduziert. Eine Veränderung war ganz wesentlich: Die neuen Konflikte, vom Balkan bis Sierra Leone, verlangten nicht nur Peace-keeping im traditionellen Sinne in Form der Überwachung einer Waffenstillstandslinie, gefordert war vielmehr das Eingreifen in einen meist sehr grausamen Bürgerkrieg. Damit veränderte sich die Qualität des Peace-keeping, an die jungen Soldaten dieser Missionen wurden neue Anforderungen gestellt.

In Kanada nahm man diese Entwicklung sehr bald wahr: "A blue beret is no longer enough to safeguard peace", hieß es. Aus Ost-Timor, aus Sierra Leone und aus der demokratischen Republik Kongo kamen Berichte, wonach Peace-keeper geschlagen, gefoltert, ja selbst ermordet wurden. Oder, wie ein kanadischer Beobachter formulierte: "Peace-keeping funktioniert in einer Ordnung, wo auch das Kriegsrecht respektiert wird, aber nicht in einem ,Butcher-Shop'. Was sollen Peace-keeper in einer Region, in der auf Grund ethnischer Spannungen hunderttausende von Flüchtlingen unterwegs sind, die grausamsten Bürgerkriege geführt werden und Kindersoldaten als Kanonenfutter dienen."

Gescheiterte UNO-Missionen

In Kanada hat man auch das Scheitern einzelner UNO-Missionen genau verfolgt. Dies vor allem dort mit viel Betroffenheit, wo auch kanadische Truppen involviert waren. Kanada's "Trade Mark" im internationalen Sicherheitsbereich ist das einer "Peace-keeping-Nation", weshalb man sich auch für die Entwicklung dieser Institution verantwortlich fühlt. Bis heute wird immer wieder die Rolle der UNO-Soldaten in Ruanda diskutiert, als dort 1994 der Völkermord ausbrach. Die dortigen UNO-Truppen standen unter dem Kommando des kanadischen Generals Romeo Dallaire, der das Trauma von damals nie überwunden hat. Zum Massaker von Zivilisten in Srebrenica 1995 und zur gescheiterten Intervention in Sierra Leone im Sommer 2000 wird fest gehalten, dass man mit schlecht ausgerüsteten, demotivierten Truppen ohne klare Aufgabenstellung eine Mission nicht erfüllen kann.

Tatsächlich ist, so wird von kanadischer Seite betont, zu den bereits dargestellten Schwierigkeiten noch eine weitere gekommen: Man verlangt von den jungen Soldaten im Peace-keeping Einsatz nicht nur die Erhaltung des Friedens, sondern auch die Erfüllung aller möglichen anderen Aufgaben, von der Herstellung von "Law and Order" bis zur Versorgung der Zivilbevölkerung.

Erfahrung Somalia

Zu diesen allgemeinen Problemen, die sich aus dem Strukturwandel, der größeren Häufigkeit sowie den gestiegenen Kosten der verschiedenen Missionen ergeben haben, kamen noch schlechte Erfahrungen, die Kanada direkt gemacht hat. Als es zu Anschuldigungen kam, kanadische Truppen wären 1993 für den Tod eines jungen Somali verantwortlich gewesen, erschütterte dies die ganze Nation. Das daran beteiligte Luftlande-Regiment wurde aufgelöst. Noch Jahre später berichteten Soldaten in Tageszeitungen seitenweise über ihre damaligen Erfahrungen unter Überschriften wie "Everyone is itching to get a kill, even if it is an innocent" oder "The dark side that emerged in Somalia". Man setzt sich jetzt auch mit den psychologischen Problemen junger Peace-keeper auseinander und damit, was es heißt "to be trained for war, but responsible for making peace". Ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg sagte dazu: "Wir wussten wenigstens, wer unser Gegner war, aber was sollen diese jungen Leute tun?".

Die Frage, was Soldaten tun sollen, die für den Kampf ausgebildet werden, dann aber vor der Aufgabe stehen, ethnische Spannungen abzubauen, wurde auch am "Remembrance Day" (11. November 2000) von einer führenden Tageszeitung aufgeworfen. Dabei wurde ein Peace-keeper in Bosnien mit der Feststellung zitiert: "I want to get away from this humanitarian-aid shit". Insgesamt kann man daher vielleicht folgendes Resumee ziehen: Kanada hatte stets eine große Rolle als Peace-keeping-Nation und will diese auch weiter ausfüllen. Man ist sich aber der geänderten Situation und der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten bewusst.

Deshalb verfolgt man mit besonderem Interesse die im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeiteten Reformvorschläge für das Peace-keeping der Zukunft. Da diese Vorschläge nach Ansicht eines hohen kanadischen Militärs eine sehr starke idealistische Komponente haben, ist die Gefahr eher groß, dass sie mehr Theorie bleiben und weniger in die Tat umgesetzt werden.

Human Security als Ziel

Wenn die Vertretung "kanadischer Werte" nach außen immer ein Teil der kanadischen Außenpolitik war, so hat man während der zweiten Hälfte der neunziger Jahre besonders stark den gesamten Bereich der "Human Security" betont. Worum geht es dabei?

Wenn im Laufe der Geschichte immer wieder die Sicherheit und die Souveränität der Staaten Grundlage und Ziel der Außenpolitik waren, so sind seit dem Ende des Kalten Krieges und durch die Globalisierung Auseinandersetzungen und damit verbundene neue Gefahren in den Vordergrund getreten, die das menschliche Schicksal direkt berühren.

Bürgerkriege und Massaker schaffen genauso menschliches Leid wie organisiertes Verbrechen, Drogenhandel, Terrorismus, Seuchen oder die Verschmutzung der Umwelt. International koordinierte Maßnahmen im Bereich der "Human Security" sollen dahingehend wirken, dieses Leid zu mindern oder überhaupt zu verhindern. Die "menschliche Sicherheit" soll neben der "nationalen Sicherheit" Ziel außenpolitischer Bemühungen werden.

Von der Gründung des Roten Kreuzes im Jahre 1860 an haben Staaten immer wieder Initiativen ergriffen, um durch Kriege oder andere Ereignisse geschaffenes Leid zu mindern. Aber erst der "UNDP-Human Development Report" von 1994 versuchte eine Definition der "Human Security". Demnach sollten Bedrohungen der Person auf Grund politischer oder wirtschaftlicher Verhältnisse sowie Beeinträchtigungen durch Ernährung, der Gesundheit oder der Umwelt in den Mittelpunkt internationalen Handelns rücken. Es ging darum, "the human costs of violent conflict" als notwendige Ergänzung zu den Bemühungen um die nationale Sicherheit zu sehen. Als Beispiele führte der UNDP-Bericht an, dass die Hälfte der 25 ärmsten Staaten der Welt unter internen bewaffneten Auseinandersetzungen leidet.

Die kanadische Antwort auf diese neuen Entwicklungen war eine "People First"-Außenpolitik. Abgesehen davon, dass auch Kanadier selbst Opfer der "neuen Gefahren" werden konnten, wollte man die Tradition eines wertbewussten Engagements dafür einsetzen, einen Beitrag zur Verbesserung der Lage zu leisten.

Auch die Rolle Kanadas als Vermittler war dabei hilfreich. Tatsächlich tragen einige der großen Initiativen in diesem Bereich eine kanadische Handschrift: vom Kampf gegen die Landminen und Handfeuerwaffen bis zur Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs und von der Flüchtlingshilfe bis zum Schutz von Kindern in Krisengebieten.

Starke Maßnahmen

Die kanadische Außenpolitik hat die Human-Security-Agenda auf den verschiedensten Ebenen, in den Vereinten Nationen, bei G-8-Treffen und im Rahmen der Organisation für Amerikanische Staaten (OAS) immer wieder vertreten, wobei folgende Schwerpunkte gesetzt wurden. Einen besonderen Erfolg erzielte Kanada, als im Dezember 1997 die "Ottawa-Convention" beschlossen wurde, die den Gebrauch, die Lagerung und die Produktion von Landminen verbietet. Die Konvention trat bereits im März 1999 in Kraft und alleine in diesem Zeitraum stiegen die im Rahmen der "global mine action" aufgewendeten Mittel von 100 auf 210 Mill. US-Dollar. Schon im September 2000 konnte der von Kanada für die "Mine Action" ernannte Sonderbotschafter berichten, dass die Produktion und der Einsatz von Anti-Personen-Minen stark zurückgegangen sind und auch der Handel damit fast zum Erliegen gekommen war.

Einsatz für "Follow up"

Kanada hat sich auch sehr stark für ein "Follow-up" eingesetzt: Zusammen mit anderen Ländern wurden Seminare über die Umsetzung der "Ottawa-Convention" durchgeführt, genauso wie "Landmines-Awareness-Days" und vor allem eines: Es wurden für entsprechende Projekte immer wieder zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt.

Ganz besonders hat sich Kanada auch für die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs (International Criminal Court/ICC) verwendet. Kriegsverbrechen und solche gegen die Menschlichkeit sollten in Zukunft nicht mehr ungestraft bleiben. Kanada hat nicht nur selbst das entsprechende Statut im Juli 2000 ratifiziert, man unterstützt auch aktiv zwei kanadische NGOs - das "International Centre for Criminal Law Reform" sowie das "International Centre for Human Rights and Democratic Development", damit diese anderen Ländern bei der Durchführung notwendiger legistischer Veränderungen behilflich sind.

Engagement für Kinder

Ein Schwerpunkt der kanadischen Human Security-Agenda sind auch "War Affected Children". Von kanadischer Seite wird dabei darauf hingewiesen, dass alleine im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts fast 2 Millionen Kinder bei bewaffneten Auseinandersetzungen getötet wurden; mehr als 4 Millionen wurden verstümmelt und über 1 Million wurden Waisen. 300.000 Burschen und Mädchen sind von Armeen bzw. Rebellentruppen sowohl zur kämpfenden Truppe als auch zu Hilfsdiensten eingezogen worden. Unzählige Kinder haben durch bewaffnete Auseinandersetzungen bleibende psychische Schäden erlitten. Kanada hat daher zum ehest möglichen Zeitpunkt, nämlich im Juni 2000, das "Optional Protocol on lnvolvement of Children in Armed Conflict" unterzeichnet. lm September 2000 wurde in Winnipeg eine Konferenz zum Thema "War Affected Children" durchgeführt, der dabei ausgearbeitete Aktionsplan wird einer "special session" der Vereinten Nationen vorgelegt.

Wird fortgesetzt