Der Geschäftsmann Andrej Babis will mit alten Parteien aufräumen .
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Prag. "Warte doch, schönes Mädchen." Durch die Prager U-Bahn-Station "Palmovka" geht frühmorgens eine schwarzhaarige Mittzwanzigerin, die Stöpsel der Kopfhörer im Ohr, den Blick nach unten gerichtet. Als sie aufblickt, steht vor ihr der Milliardär Andrej Babis und überreicht ihr einen in einem Papiersackerl verpackten Krapfen.
Der schlaksige Geschäftsmann, dessen agrochemische Holding Agrofert in Tschechien 23.000 Mitarbeiter beschäftigt, taucht immer wieder an verschiedenen Orten Prags auf und verteilt Süßes. Er ist auf Wählerfang. Babis hat die Partei ANO (die "Aktion der unzufriedenen Bürger") gegründet. In zwei Wochen wählt Tschechien ein neues Parlament, und der Zuspruch für ANO steigt in den Umfragen stetig. Derzeit rangiert die Gruppierung, für die Babis auch Schauspieler und Journalisten gewinnen konnte, bei zwölf Prozent. Sie könnte gar hinter den Sozialdemokraten (CSSD) an zweiter Stelle landen.
Abgrenzung von alten Kräften als Programm
Babis selbst will nicht von einer Partei sprechen, sondern von einer Bewegung (siehe Interview unten). Und überhaupt ist das Programm von ANO vor allem die Abgrenzung von den etablierten Kräften: Die derzeitigen Politiker würden nicht den Bürgern dienen, sondern ihren eigenen Interessen und denen einflussreicher Gruppen, heißt es in den Foldern von ANO. "Wir stehlen nicht", verkündet die Bewegung, womit unterschwellig mitgeteilt wird, dass es die anderen großen politischen Gruppierungen machen.
Die Hefte werden den Passanten in die Hand gedrückt, nachdem sie von Babis den Krapfen erhalten haben. Einer der Wahlhelfer ist der Pensionist Karel Boucek. Er verrichte die Arbeit freiwillig und erhalte dafür keine Krone, sagt der groß gewachsene Mann mit dem schlohweißen Haar. "Wissen Sie, für mich geht es nicht mehr um viel, ich mache es für meine Enkel und Kinder." Und die derzeitigen Politiker würden diesen nichts Gutes bringen.
"Wir wollen die alten Parteien nicht mehr haben", attestiert auch eine energische Anhängerin von ANO, die gleich zu Babis eilt, ihm alles Gute wünscht und sich mit ihm fotografieren lässt.
Das sind keine Einzelmeinungen. Die Reputation der tschechischen Politiker sei seit der Samtenen Revolution 1989 noch nie so am Boden gewesen, berichtet der Meinungsforscher Frantisek Knobloch von der Agentur "ppm factum".
Ministerrücktritte, Chaos und höhere Steuer
Ein mit der Politik verwobener Lobbyist namens Roman Janousek, der bei einem Verkehrsunfall in Prag eine Frau betrunken niedergefahren haben soll und dem danach von der Polizei nicht einmal Handschellen angelegt wurden. Ein Ex-Premier namens Petr Necas, der eine Affäre mit seiner Büroleiterin Radka Nagyova hatte, die wiederum die damalige Frau von Necas angeblich vom Geheimdienst hat abhören lassen. Mehrere Minister, die in den vergangenen Jahren wegen Machtkämpfen oder Korruptionsvorwürfen zurücktreten haben müssen. Derartige Affären haben bei vielen Tschechen für einen tiefen Frust mit der Politik gesorgt.
Mit seiner geschickt orchestrierten Kampagne macht sich Babis die Wut der Wähler zunutze. Zudem hat der Milliardär jede Menge Geld in den Wahlkampf geworfen: Keine Partei ist mit Plakaten derart präsent in Prag wie ANO. Und Babis wird von Kommentatoren auch immer wieder mit Berlusconi verglichen: Er erwarb im Frühjahr dieses Jahres den Verlag Mafra, der die renommierten Tageszeitungen "Mlada fronta Dnes" und "Lidove noviny" herausgibt. Er selbst meint, dass er keinen Einfluss auf die Redaktionen ausüben werde, was ihm aber viele nicht glauben wollen.
Was ANO konkret ändern will, lässt sich schwer sagen: Vage fordert man klarere Gesetze und bessere Schulen. Jedenfalls sollen Fachexperten und keine Berufspolitiker das Land lenken. ANO will sich nicht ideologisch festlegen, will weder rechts noch links sein, sondern pragmatisch agieren.
Nicht nur die Korruptionsaffären, auch das Chaos, das zuletzt in der tschechischen Politik herrschte, spielt Babis in die Hände: Nach der Affäre um Necas, der widerspenstigen Abgeordneten lukrative Staatsposten anbot, musste die gesamte Mitte-Rechts-Koalition zurücktreten. Diese bestand neben der ODS zuletzt aus der konservativen Partei Top 09 von Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg und der Kleinpartei Lidem, die nun von der Bildfläche verschwinden wird. Die Regierungsparteien wollten in veränderter Konstellation weitermachen. Doch dagegen stellte sich Präsident Milos Zeman, der sich schließlich durchsetzte und ein ihm nahestehendes Expertenkabinett einsetzte, das derzeit die Regierungsgeschäfte lenkt.
Sozialdemokraten führen in den Umfragen
Für Ärger sorgte bei vielen Wählern auch der Sparkurs der letzten Regierung: Das Nachbarland, in dem Österreich der drittgrößte Direktinvestor ist, versuchte während der Krise in den vergangenen Jahren vor allem, das Budget stabil zu halten. Gehälter im Staatsdienst wurden eingefroren oder gekürzt, die Arbeitslosigkeit stieg und die Mehrwertsteuer wurde erhöht.
Die ODS wird nun bei der Wahl für die Korruptionsaffären abgestraft werden und droht zu einer Kleinpartei zu schrumpfen. Und auch Top 09 wird wohl Stimmen verlieren. Die Verluste der Schwarzenberg-Partei erklären sich vor allem aus dem Sparkurs, den Top 09 mit Ex-Finanzminister Miroslav Kalousek federführend mitverantwortet hat.
Davon profitiert nicht nur ANO, sondern auch die CSSD. Die Sozialdemokraten haben immer wieder gegen die Sparmaßnahmen gewettert und protestiert. Sie dürften die Wahl gewinnen und versprechen wieder mehr soziale Sicherheit. ODS und Top 09 werden wohl nicht mit der CSSD koalieren, auch ANO sieht sich eher in der Opposition. Als wahrscheinlichste Variante gilt nun, dass die Kommunisten eine sozialdemokratische Minderheitsregierung dulden werden.
Berufspolitiker werden als realitätsfern dargestellt
Der nächste Premier hieße damit Bohuslav Sobotka, der Vorsitzende der CSSD, der eine Parteikarriere hingelegt hat. Babis reibt sich deswegen schon die Hände. "Wunderbar, Sobotka hat nie gearbeitet", sagt er zu Passanten in der U-Bahn-Station. Es ist ein Bild, das ANO gerne heraufbeschwört: Die realitätsfernen Berufspolitiker hätten nur Parteikarrieren gemacht, während die Leute von ANO schon etwas erreicht hätten und wüssten, worum es im Leben der Bürger geht. Stolz brüstet sich Babis damit, sein Unternehmen Agrofert von null auf ohne Betrug aufgebaut zu haben.
Wenn Sobotka Ministerpräsident werde, dann "gewinnen wir eben in vier Jahren die Wahlen", verkündet Babis. Fraglich ist aber, ob ANO so lange durchhalten wird. Es wird sich erst weisen, ob der selbstbewusste Parteichef, der es gewohnt ist, einen Riesenkonzern zu dirigieren und von seiner Umgebung hofiert zu werden, Kritik zulassen wird. Oder ob ANO im Chaos landen wird wie Frank Stronachs Partei in Österreich.
Babis könnte zu noch mehr Frustration beitragen
Ähnliche Bewegungen wie ANO gab es in Tschechien schon. Bei der letzten Parlamentswahl 2010 etwa trat eine Gruppierung namens "Öffentliche Angelegenheiten" an. Ins Leben gerufen hatte sie der Geschäftsmann Vit Barta. Die Partei trat in die Regierung ein, zerstritt und spaltete sich in der Folge und wurde zum Trümmerhaufen. "Solche Erfahrungen führen aber nicht dazu, dass man derartige Leute nicht mehr wählt", sagt der Prager Politologe Bohumil Dolezal. Auch Babis drohe in den nächsten vier Jahren zu scheitern. Der Mann, der die Tschechen von ihrer Polit-Frustration erlösen will, könnte dann zu noch mehr Enttäuschung über die Politik beitragen.
Am Dienstag, dem 15.10., findet um 10 Uhr im Presseclub Concordia (Bankgasse 8, 1010 Wien) eine Podiumsdiskussion zu "Tschechien vor den Wahlen" statt. Moderiert wird diese von WZ-Redakteur Michael Schmölzer. Es diskutieren: Bara Prochazkova (Chefredakteurin des tschechischen Magazins "Bel Mondo"), Jan Sicha (Collegium-Bohemicum, Journalist und Historiker) sowie Niklas Perzi (Zentrum für Migrationsforschung St. Pölten, Historiker und Publizist).