Österreichs Landesfürsten reiben sich dieser Tage ungläubig die Augen, wenn sie gen Norden blicken. Beim großen Nachbarn sind nicht einmal mehr die ältesten Hochburgen sicher.
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Aber Michael Häupl, Erwin Pröll und Co können beruhigt werden: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass diese Revolution nach Österreich überschwappt. Während nämlich fast überall auf der Welt das Votum der Wähler zu machtpolitischen Konsequenzen führt, haben es unsere Parteien verstanden, ihre Schäfchen unabhängig von der lästigen Lotterie an der Wahlurne ins Trockene zu bringen.
"Deutschland war nach 1945 von Anfang an auf einen konsequenten Parteienwettbewerb zwischen den beiden Großparteien ausgerichtet. Andere Parteien spielten dabei lediglich die Rolle von Mehrheitsbeschaffern", erläutert Politikforscher Peter Ulram. Österreich dagegen hatte das Machtkartell der roten und schwarzen Reichshälfte, das sich über die Sozialpartner weit in die Gesellschaft hinein fortsetzte. Der Wettbewerb der politischen Parteien um Macht und Einfluss wurde auf diese Weise auf das allernotwendigste Minimum beschränkt.
Ein Teilaspekt davon ist natürlich das nach wie vor in Niederösterreich, Oberösterreich, Kärnten, der Steiermark und im Burgenland geltende Proporzprinzip. Das kann zu so wunderbar schizophrenen Konstellation führen wie etwa im Land ob der Enns: Hier regieren ÖVP und Grüne gemeinsam in einer Koalition - und gleichzeitig stellen auch noch SPÖ und FPÖ Landesräte. Perverser kann man das demokratiepolitisch zentrale Prinzip von Opposition kaum (de)konstruieren.
Und dort, wo der Proporz in der Landesregierung nach Jahrzehnten doch noch abgeschafft wurde (etwa in Tirol und Salzburg), dort haben sich prompt die beiden größten Parteien wieder zu großen Koalitionen zusammengefunden ...
Ulram wartet aber - neben dem Faktum einer höheren Bevölkerungsfluktuation in Deutschland, das einen größeren Anteil an Wechselwählern mit sich bringt - mit noch einer interessanten Hypothese zur verkrusteten Politiklandschaft in Österreich auf: Dass hierzulande der Landeshauptmannsessel zur Erbpacht verkommt, so nicht grobe politische Unfähigkeit dazwischenfunkt, hängt für ihn mit der relativen politischen Machtlosigkeit der Länder zusammen.
Tatsächlich haben Landesregierungen in Deutschland erheblichen Gestaltungsspielraum - von der Wirtschafts- über die Bildungs- bis hin zur Sozialpolitik -, in Österreich ist der Föderalismus demgegenüber weitgehend zur Folklore und höheren Ehre der Landesfürsten verkommen. Und indem Österreichs Landeshauptleute keine weitreichenden politischen Weichenstellungen vornehmen müssen (oder dürfen), gelingt es ihnen leichter, sich selbst über den alltäglichen Parteienzank zu erheben und als Landesväter respektive -mütter über allem zu thronen. Und Monarchen lassen sich bekanntlich nicht so leicht abwählen.