Der Schweizer Hotelerbe war ein Angler-Enthusiast und verliebt in die Gmundener Traun. Eine Erinnerung.
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Die kunstvollste Art, Fische zu fangen, ist das Fischen mit einem künstlichen Insekt, einer federleichten "Fliege" am Ende einer langen, schweren Schnur, die vom Angler mit Eleganz geschwungen wird, um die Fliege weit draußen zentimetergenau vor der Nase eines Fisches zu platzieren.
Die Philosophie des richtigen Werfens, des entsprechenden Insekts und der passenden Rute hat das Fliegenfischen in den Stand einer Wissenschaft erhoben oder - je nach Blickwinkel - in den einer Glaubenslehre. Im 20. Jahrhundert hieß deren Prophet: Charles Ritz.
Ritz, ein magischer Name, bis heute ein Inbegriff für Luxus und Eleganz. Die Ritz-Carlton Hotelgruppe ist in amerikanischer Hand und beschäftigt 40.000 Mitarbeiter. Dazu kommt das eigenständige Hotel Ritz in Paris als Sinnbild und Keimzelle. Dies alles geht auf César, den Vater von Charles Ritz, zurück.
César Ritz war ein Schweizer Bergbauernbub, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Lehrling und Kellner in den Sog der Reichen, Berühmten und Mächtigen geriet und das Talent hatte, deren Wünsche und Geschmäcker zu erahnen. Mit einem Sinn für Perfektion und mit rasender Besessenheit revolutionierte César Ritz das Hotelgeschäft. Er führte elektrisches Licht ein, sorgte für penible Sauberkeit, baute erstmals in jedem Zimmer ein Bad ein, begründete die Hotelrestaurants, versorgte seine Gäste mit Plaisir und wahrte strenge Diskretion.
Sein 1891 geborener Sohn Charles erklärte hingegen das Fliegenfischen zur wichtigsten Sache der Welt, konstruierte Angelruten aus Bambus, versuchte das Werfen zu perfektionieren und versammelte eine große Anzahl von Jüngern um sich, die bis auf wenige Ausnahmen aus der Gesellschaft der High Society stammten. Ritz und seine Freunde fischten an den exklusivsten Forellen-, Äschen- und Lachsflüssen Europas und Amerikas.
Das Zentrum ihrer Zuneigung lag in Oberösterreich, in Gmunden an der Traun, einem Fluss, der schon zu Kaisers Zeiten einen internationalen Ruf besaß. Denn hier gab es, abgesehen von der zauberhaften Gegend, Fische ohne Ende. Vier Stück pro Quadratmeter seien es, erzählte man sich in den 1930er Jahren. 50 bis 60 Äschen an einem einzelnen Angeltag lagen im Bereich des Möglichen. Dazu Seeforellen, die einen Meter Länge erreichten - und ein Gewicht von acht Kilogramm.
Ritz schrieb: "Wer je das Glück hatte, in diesem Fluss zu waten, wird immer von diesem Erlebnis träumen." Und der amerikanische Autor Leonhard M. Wright Jr. ging noch ein Stück weiter: "Wenn ich noch acht Stunden zu leben hätte, würde ich nicht nach Neuseeland oder Kanada fahren, sondern ich würde an die Traun kommen."
Aber wie kam Charles Ritz an die Traun?
Mit der Fliegenfischerei geriet er 1912, im Alter von 21 Jahren, durch seinen Vetter in Berührung. Zu dieser Zeit war sein Vater César bereits schwer krank und dämmerte ohne Hoffnung in einer Schweizer Privatklinik vor sich hin. Charles strenge Mutter Marie-Luise führte die Geschäfte. Die beiden erfreuten sich keiner guten Beziehung. Ihr Sohn hatte zwar erlesenen Geschmack und war vielseitig interessiert, jedoch nicht an Hotels.
1916 schickt Marie-Luise ihn ins Ritz-Carlton nach New York. Für hundert Dollar im Monat hatte Charles dort als Direktionsassistent zu arbeiten. Gegenüber lag ein großes Sportartikelgeschäft, mit einem vollen Lager an Angelausrüstung. Mit nur hundert Dollar Salär im Monat war darin allerdings nichts zu erstehen. Also besorgte sich Charles in Trödlerläden gebrauchte Angelruten aus Bambus und revitalisierte sie mit ein wenig Lack, Seide und Leim. In der Schlosserwerkstätte im Keller des Hotels drehte er Korkgriffe.
"Fischeritis-Virus"
Bald gelang es ihm, seine auffrisierten Ruten zu verkaufen. Die Dollars häuften sich und so konnte er sich seinen größten Wunsch erfüllen: eine Anglerreise nach Kanada. "Damit hatte ich mir den Fischeritis-Virus zugezogen, der mich fortan hinderte, meine Kraft der Hotelkarriere zu widmen."
Etwa 1937 kehrte Ritz dauerhaft nach Europa zurück. In Paris schuf er sich hinter der Fassade eines Luxus-Schuhgeschäfts ein privates Laboratorium, vollgestopft mit Ruten, Hülsen, Seidenfäden, Rollen und Präzisionsinstrumenten. Allabendlich versammelte sich hier die Gemeinschaft der Gläubigen und Ritz predigte sein neues, wunderbares Weltbild des Fliegenfischens. Spätestens jetzt hatte er die Rutenphysik, die Wurfmechanik und die Prüfungskurven der Bambusspleiße zum Lebenszweck erhoben.
Es muss Ende der 1920er Jahre gewesen sein, als Charles auf Empfehlung eines Münchner Kaufmanns erstmals an die Traun nach Gmunden fuhr - und mit ihm ein Gefolge der besten internationalen Gesellschaft.
Albert Pesendorfer, Obmann des "Vereins der Freunde der Gmundner Traun", der heute das Gewässer bewirtschaftet, hat Ritz und seine Zeiten akribisch dokumentiert: "Das Fliegenfischen haben damals nur die reichen Leute betrieben. Wann man sich vorstellt, wer da aller hergekommen ist, da sind die Bentleys und Rolls Royce dagestanden, das war unvorstellbar."
Im Gefolge von Charles Ritz fischten in der Gmundner Traun - die im Eigentum der Österreichischen Bundesforste steht - Prinzen und Prinzessinnen, Professoren, wohlhabende Geschäftsleute, Casinobetreiber, Bankdirektoren und Militärs wie General Eisenhower und die Chefs der US-Luftwaffe und der CIA. Mittendrin zwei Einheimische, die Ritz zu seinen engen Freunden zählte: Hans Gebetsroither und Emmerich Schwarzäugl. Gebetsroither sollte in späteren Jahren als Fliegenfischer beinahe ebenso berühmt werden wie sein Mentor.
Standesunterschiede waren zwar wahrnehmbar, wurden aber nicht gelebt. Albert Pesendorfer: "Ich glaube, die Leidenschaft hat die Leute verbunden wie ein Konglomerat. Über die Leidenschaft war das jetzt wurscht, ob das ein normaler Schusterbub war oder dies oder das."
Ein guter Jodler
Wenn Charles Ritz zum Fischen kam, dann gewöhnlich in einem bis zum Dach vollgepackten Wagen: ein Dutzend Ruten, Watstiefel unterschiedlicher Länge, Regenüberwürfe, Rollen, Fliegenschnüre, Fliegenschachteln, Werkzeugtäschchen, Proviant, Fotoausrüstung. Vor lauter Gepäck blieb ihm in seinem Cadillac kaum Platz zum Fahren. Um die Pedale mit den Füßen erreichen zu können, hatte er auf ihnen Holzklötze angeschraubt. Ritz war nur 1,65 Meter groß. Wie es sich für einen richtigen Schweizer gehörte, konnte er gut jodeln. Was er mit Vorliebe tat, wenn er einen schwierig zu fangenden Fisch an den Haken bekam.
Ende der 1960er Jahre skizzierte er sich augenzwinkernd in der Mitgliederliste des exklusiven Fario-Anglerklubs: "Macht oft ein Gesicht, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen, ist aber besessen vom Angeln, von Fliegenruten und vom Werfen."
Den Fario-Club (nach der lateinischen Bezeichnung der Bachforelle Salmo trutta fario) gründete Ritz 1958. Hier waren die berühmtesten Namen vertreten, die Elite der Fliegenfischer aus allen Kontinenten. Einmal im Jahr traf man sich im Hotel Ritz in Paris zu einem Bankett. Dabei gelang es dereinst Hans Gebetsroither, Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway unter den Tisch zu trinken.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zog sich Charles dominante Mutter Marie-Luise zu Gunsten ihres Sohnes aus dem Vorstand des Pariser Ritz zurück. Sie war 78 Jahre alt, ihr Sohn 54. Bis dahin war Charles Ritz niemals in das Management des Hotels involviert gewesen. Er schrieb: "Nach Kriegsende hatte ich nur eine große Sehnsucht: meine geliebte Traun wiederzusehen."
Lob von Hemingway
Nun war es aber so, dass er seine Zeit dem Hotel widmen musste. In einem geschäftlichen Auf und Ab begann er, das Pariser Ritz zu modernisieren. Gleichzeitig vollendete er das "Evangelium", an dem er so viele Jahre gearbeitet hatte. Es erschien 1953, die deutsche Ausgabe unter dem Titel "Erlebtes Fliegenfischen".
Albert Pesendorfer: "Es ist kein Anfängerbuch, aber er hat das geschickt gemacht mit Anekdoten, die einen mit hineinziehen in diese Leidenschaft. Der Ritz hat bei vielen das Feuer entfacht."
Hemingway schrieb nach Erscheinen des Buches: "Nur wenigen Leuten ist es vergönnt, fischend so durch alle Weiten zu streifen wie Monsieur Charles. Wie immer die Welt aber auch noch laufen mag, es werden ihrer noch weniger sein, die jemals so gut fischen wie er."
Der Zauber der Gmundner Traun verblasste 1967 mit dem Bau eines Kraftwerks. Damit fand die Ära von Ritz und seinem illustren Gefolge ein trauriges Ende. Albert Pesendorfer: "Wie sie das Kraftwerk gebaut haben, da war ich so a Bua mit dreizehn, vierzehn Jahren, da hat der Bauleiter zu mir gesagt: ,Ans weiß ich, i hab noch nie so viele Fische in meinem Leben gesehen und i werd nie wieder so viele Fische sehen...‘ Das war unvorstellbar."
Weil er keine Nachkommen hatte, aber sehr wohl in großer gegenseitiger Zuneigung, heiratete Charles 1971 die um 31 Jahre jüngere Monique Foy und platzierte sie im Aufsichtsrat des Hotels. 1976 starb er im Alter von 85 Jahren. Monique Ritz charakterisierte ihn Jahrzehnte später voller Bewunderung: "Er war ein großzügiger Mann mit einem Herz aus Gold und er strahlte eine unvergleichliche Ruhe und Zuversicht aus."
Albert Pesendorfer, der durch seine Recherchen tief in dessen Gedankenwelt eingedrungen ist, kann nachempfinden, was Charles Ritz zeit seines Lebens angetrieben hat: "Das Werfen - das lässt einen nie wieder los. Der Abendsprung, wenn die Forellen an die Wasseroberfläche steigen, um Insekten aufzunehmen, das ist für mich Vollendung. Der Geruch des Wassers ... Was wir noch für Zeiten erleben durften ..."
Manfred Christ ist Wissenschaftsjournalist, Dokumentarfilmer und Angler (Kamp, March, Lobau).