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Proteste könnten wirtschaftlichen Teufelskreis auslösen

Von Tarek el-Tablawy

Politik

Bauboom und Wohnungsnot in Ägypten. | Börse hält den Atem an. | Kairo. (ap) Die auch aus wirtschaftlicher Not geborenen Unruhen in Ägypten drohen den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes zu untergraben. Die Demonstrationen beunruhigen die Märkte und überschatten die Fortschritte, auf die die Regierung so stolz ist: solide Wachstumszahlen und eine blühende Privatwirtschaft, gestützt auf einen Bauboom und scheinbar krisenfeste Banken.


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Die Früchte des Wachstums kommen nach Ansicht vieler nur einer politisch gut vernetzten Elite zugute. Für die Durchschnittsbürger sind Wohlstandssymbole wie Luxuswohnungen und teure elektronische Spielzeuge unerreichbar; viele Menschen haben es schwer, eine Stelle zu finden, die Rechnungen zu bezahlen und erschwinglichen Wohnraum zu finden.

Der Einbruch des Aktienmarkts um mehr als zehn Prozent am Donnerstag ließ Händler befürchten, dass weitere Demonstrationen den Schaden noch größer machen, wenn die Börse nach dem Wochenende am Sonntag wieder öffnet. Die wichtigsten Devisenbringer - der Tourismus, der Suezkanal und ausländische Investitionen - hängen davon ab, ob die Anleger das Land für stabil hatten. Dieses Image versucht die Regierung seit Jahren zu pflegen und das sozialistische Erbe aus Schlendrian, aufgeblähter Bürokratie und Verschwendung abzuschütteln.

Nach einer Bankenkrise in den 90er Jahren setzte sie Maßnahmen zur besseren Regulierung des Finanzsektors und zur Förderung des privaten Sektors in Gang. Die Wachstumsrate sprang von 4,1 Prozent 2004 auf fast 7,2 Prozent 2008. Selbst die folgende globale Finanzkrise überstand Ägypten gut. Das Bruttoinlandsprodukt lag 2009 bei 4,7 und 2010 bei 5,15 Prozent. Der Immobiliensektor, der sich auf Anzahlungen der Kunden statt auf riskante Kredite gründet, kam als einer von wenigen auf der Welt relativ unbeschadet davon.

Fortschritt nur Schau?

Kritiker beklagen allerdings, dass der Fortschritt kaum mehr als Schau ist. Rund 40 Prozent der Ägypter bewegen sich an der von der Weltbank mit zwei Dollar pro Tag definierten Armutsgrenze. Die Lebensmittelpreise sind über die vergangenen drei Jahre stetig gestiegen und hoch geblieben, selbst als die als Rohstoff-Weltmarktpreise fielen. Ein Kilo Rindfleisch, das vor ein paar Monaten noch 40 Ägyptische Pfund (fünf Euro) kostete, ist jetzt mit rund 65 Pfund (mehr als acht Euro) ein teurer Luxus. Fachleute schätzen die Teuerung bei Lebensmitteln inzwischen auf unhaltbare 17 Prozent jährlich. Preiserhöhungen für Brot - das umgangssprachlich Aisch (Leben) genannt wird - führten 1977 zu Unruhen, bei denen mehrere Menschen getötet wurden.

Kritisch ist auch die Situation auf dem Wohnungsmarkt. In Neubausiedlungen mit klingenden Namen wie Beverly Hills und Allegria stehen reichlich Villen für die Reichen und den gehobenen Mittelstand bereit. Der Rest des Volks tut sich schwer, wenigstens eine Einzimmerwohnung zu ergattern. Das Problem wurde Ende voriges Jahr offenbar, als der Baugigant Talaat Mustafa Group (TMG) von einem Geschäftsmann verklagt wurde, weil er sich riesige Ländereien in der Wüste für sein nobles Madinaty-Bauvorhaben unter den Nagel gerissen hatte: Die Behörden hatten sie gesetzwidrig ohne Ausschreibung vergeben. Der Streit wurde dadurch gelöst, dass die Regierung ein unabhängiges Komitee ins Leben rief - dem auch Vertreter eben jener Behörde angehörte, die die illegale Vergabe zu verantworten hatte - und das Land zu weitgehend gleichen Bedingungen wiederum an TMG übertrug.

Verunsicherte Anleger

Die Nachrichten aus Ägypten sorgten weltweit bei Anlegern für Verunsicherung. Die New Yorker Aktienbörse hat am Freitag mit deutlich tieferen Kursen geschlossen. Der Dow Jones Industrial Index sank um 1,39 Prozentpunkte auf 11.823,70 Einheiten.

Der Ölpreis ist rasant gestiegen. Unmittelbar nachdem das Weiße Haus Besorgnis über die Gewalt in Ägypten äußerte, schnellten die Ölpreise um rund zwei Dollar (rund 1,50 Euro) je Barrel nach oben. Zuvor hatten Händler ihr Kapital von anderen Anlagegütern abgezogen und in Öl, Gold, und den Dollar investiert. Der Preis für eine Feinunze Gold stieg um 1,27 Prozent auf 1335,2 Dollar.