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Proteste schädigen Sarkozy

Von Georg Friesenbichler

Europaarchiv
In Lyon fliehen Jugendliche vor der Polizei. Dort und in Pariser Vororten kam es zu Krawallen. Foto: ap

Franzosen leisten weiter Widerstand. | Abstimmung im Senat verschoben. | Paris/Wien. Die anhaltenden Proteste gegen die Pensionsreform in Frankreich lassen Präsident Nicolas Sarkozy nicht unbeschadet. Weiterhin stehen laut Umfragen rund 70 Prozent der Bevölkerung hinter der Protestbewegung. Sogar die Anhänger von Sarkozys Regierungspartei UMP würden lieber Premierminister Francois Fillon als Spitzenkandidaten sehen, wenn es 2012 wieder um die Präsidentschaft geht.


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Die Gewerkschaften, deren gemeinsame Front bereits bröckelt, sind von der Heftigkeit der Demonstrationen überrascht. Laut einer Umfrage plädiert eine Mehrheit der Franzosen für einen Generalstreik wie 1995, der eine Reform der Renten der öffentlichen Bediensteten verhinderte. Manche der an politischen Parteien ausgerichteten Gewerkschaftsverbände sind gegenüber einer solchen Maßnahme aber skeptisch, nicht zuletzt weil unter Sarkozy das Streikrecht verschlechtert wurde. "Diejenigen, die die Protestbewegung radikalisieren und zum Generalstreik aufrufen wollen, wollen häufig eine allgemeine Opposition zur Regierung einschlagen", sagt der Vorsitzende der gemäßigten CFDT Francois Chereque.

In besonderem Maß trifft dies wohl auf Schüler und Studenten zu, die sich den Protesten angeschlossen haben. Sie sind noch immer frustriert, weil ihr Kampf gegen die Universitätsreform im vergangenen Jahr ohne Wirkung blieb, und liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei. Allein in Lyon wurden an zwei Tagen mehr als hundert Schüler nach Krawallen festgenommen, seit dem 12. Oktober waren es insgesamt 1900.

Der Präsident bezeichnete die Ausschreitungen in Lyon als "skandalös" und meinte über die jugendlichen Übeltäter: "Sie werden gefunden, verhaftet und bestraft." Damit demonstriert Sarkozy neuerlich eine harte Haltung wie im Fall der Roma-Abschiebungen, die die Mehrheit der Franzosen gutheißt - ein in diesem Fall gelungenes Ablenkungsmanöver von den Skandalen in der konservativen Regierung, wie Beobachter meinen.

Arbeitsminister Eric Woerth hat angeblich illegale Spenden von der LOreal-Millionärin Lilian Bettencourt angenommen. Woerth soll seinen Posten dem Vernehmen nach bei einer Regierungsumbildung verlieren, die Sarkozy für November plant.

Hoffen auf Herbstferien

Im Fall der Protestwelle zu den Pensionen will Ablenkung nicht gelingen, stattdessen hofft der Präsident auf ein Einschlafen der Bewegung, wie dies bei der Universitätsreform 2009 geschah. Denn am Wochenende beginnen die zehntätigen Herbstferien an den Schulen, zumindest die Proteste der Jungen könnten dann abebben. Auf dieses Wochenende wurde denn auch die Abstimmung im Senat verschoben. Mit der endgültigen Verabschiedung nach der Tagung des Vermittlungsausschusses wird Mitte der nächsten Woche gerechnet.

Vorläufig sieht es allerdings nicht nach dem Abflauen der Proteste aus. Am frühen Donnerstag blockierten Demonstranten vorübergehend die Zufahrt zum Flughafen von Marseille, die Passagiere mussten ihr Gepäck zu Fuß befördern.

Die Pop-Sängerin Lady Gaga sagte zwei Konzerte ab, weil der Lkw-Transport ihrer Ausrüstung zu den Shows nicht sichergestellt sei. Trotz der Ankündigung von Sarkozy, alle Blockaden von Benzindepots zu beenden, war am Donnerstag der Zugang zu mindestens 14 Lagern versperrt. Demonstranten besetzten die Depots immer so lange, bis die Polizei auftauchte. Alle zwölf Raffinerien des Landes sind komplett heruntergefahren. Sie wieder in Betrieb zu setzen, braucht schon aus technischen Gründen mehrere Tage.

Innenminister Brice Hortefeux räumte ein, dass es Schwierigkeiten bei der Verteilung des Benzins gebe. "Es gibt aber Reserven für mehrere Wochen", sagte er. Umweltminister Jean-Louis Borloo wird unterdessen kritisiert, weil er die Schwierigkeiten bei der Benzinversorgung anfangs schlicht geleugnet hatte. "Er hat sich um eine Null vertan und von 300 statt von 3000 Tankstellen ohne Benzin gesprochen", schimpfte ein ungenannter Ministerkollege in der Zeitung "Figaro".